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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
Stücke aus edlem Metall, gebrauchen die Chinesen noch heutigen
Tages nicht, sondern Wage und Gewicht entscheiden allein im
Handelsverkehr, Papiergeld dagegen haben sie schon seit 119 v.
Chr. in Umlauf gesetzt. An der Assignatenwirthschaft sind die
letzte und vorletzte, die Ming- und die Mongolen-Dynastie
zu Grunde gegangen, und wenn uns die Pekinger Staatszeitung
jemals die Nachricht bringen sollte, dass auch die Mandschu Schatz-
scheine auszugeben begonnen hätten, dann dürfen wir sicher an-
nehmen, dass in ihrem Stundenglase die letzten Körner abrinnen 1).
Mit Zahlen wissen die Chinesen geschickt umzugehen. Sie sind
nicht nur die Erfinder des Rechnenbrettes, sondern nach Angaben
Sir John Bowrings verwenden sie beim Rechnen im Kopfe die
Glieder an den Fingern der linken Hand als Ziffern bis zu einer
Grösse von 99,999, und zwar so dass jeder Finger vom kleinen
angefangen einen höheren decimalen Stellenwerth besitzt als der
nächste 2). Das sogenannte Macadamisiren der Strassen ist eine
uralte Erfindung der Chinesen, die wir ihnen erst seit 1820 nach-
geahmt haben 3). Wenn wir im Marcusevangelium die Abendmahls-
feier nachlesen, so lässt uns der griechische Ausdruck keinen
Augenblick im Zweifel, dass Christus und seine Jünger mit den
Fingern assen. Von den Chinesen erfahren wir, dass sie sich be-
reits unter der zweiten Dynastie, also im zweiten Jahrtausend
vor unserer Zeitrechnung der Essstäbchen aus Bambu und bald
nachher aus Elfenbein bedienten 4).

Werden wir endlich nach dem Alter der chinesischen Cultur
befragt, so müssen wir damit beginnen, die Chinesen als treue und
eifrige Geschichtschreiber zu preisen. Ihre beglaubigte Geschichte
reicht zurück bis auf Yao oder nach der herkömmlichen Zeitrech-
nung bis zum Jahre 2357. Die letztere Ziffer bedarf jedoch einer
kritischen Abkürzung. Bis zum Jahre 826 v. Chr. ist nach Legge
in der chinesischen Chronologie alles in strengster Ordnung; Plath,
von dem man Uebereilungen nicht zu befürchten hat, geht sogar

1) Klaproth, sur l'origine du papier-monnaie, im Journal asiatique.
Paris 1822. tom. I, p. 259--259.
2) Ausland 1868. S. 719.
3) Schmoller, Geschichte der deutschen Kleingewerbe. Halle 1870.
S. 167.
4) Plath, im Ausland. 1869. S. 1214.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
Stücke aus edlem Metall, gebrauchen die Chinesen noch heutigen
Tages nicht, sondern Wage und Gewicht entscheiden allein im
Handelsverkehr, Papiergeld dagegen haben sie schon seit 119 v.
Chr. in Umlauf gesetzt. An der Assignatenwirthschaft sind die
letzte und vorletzte, die Ming- und die Mongolen-Dynastie
zu Grunde gegangen, und wenn uns die Pekinger Staatszeitung
jemals die Nachricht bringen sollte, dass auch die Mandschu Schatz-
scheine auszugeben begonnen hätten, dann dürfen wir sicher an-
nehmen, dass in ihrem Stundenglase die letzten Körner abrinnen 1).
Mit Zahlen wissen die Chinesen geschickt umzugehen. Sie sind
nicht nur die Erfinder des Rechnenbrettes, sondern nach Angaben
Sir John Bowrings verwenden sie beim Rechnen im Kopfe die
Glieder an den Fingern der linken Hand als Ziffern bis zu einer
Grösse von 99,999, und zwar so dass jeder Finger vom kleinen
angefangen einen höheren decimalen Stellenwerth besitzt als der
nächste 2). Das sogenannte Macadamisiren der Strassen ist eine
uralte Erfindung der Chinesen, die wir ihnen erst seit 1820 nach-
geahmt haben 3). Wenn wir im Marcusevangelium die Abendmahls-
feier nachlesen, so lässt uns der griechische Ausdruck keinen
Augenblick im Zweifel, dass Christus und seine Jünger mit den
Fingern assen. Von den Chinesen erfahren wir, dass sie sich be-
reits unter der zweiten Dynastie, also im zweiten Jahrtausend
vor unserer Zeitrechnung der Essstäbchen aus Bambu und bald
nachher aus Elfenbein bedienten 4).

Werden wir endlich nach dem Alter der chinesischen Cultur
befragt, so müssen wir damit beginnen, die Chinesen als treue und
eifrige Geschichtschreiber zu preisen. Ihre beglaubigte Geschichte
reicht zurück bis auf Yao oder nach der herkömmlichen Zeitrech-
nung bis zum Jahre 2357. Die letztere Ziffer bedarf jedoch einer
kritischen Abkürzung. Bis zum Jahre 826 v. Chr. ist nach Legge
in der chinesischen Chronologie alles in strengster Ordnung; Plath,
von dem man Uebereilungen nicht zu befürchten hat, geht sogar

1) Klaproth, sur l’origine du papier-monnaie, im Journal asiatique.
Paris 1822. tom. I, p. 259—259.
2) Ausland 1868. S. 719.
3) Schmoller, Geschichte der deutschen Kleingewerbe. Halle 1870.
S. 167.
4) Plath, im Ausland. 1869. S. 1214.
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[389/0407] Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. Stücke aus edlem Metall, gebrauchen die Chinesen noch heutigen Tages nicht, sondern Wage und Gewicht entscheiden allein im Handelsverkehr, Papiergeld dagegen haben sie schon seit 119 v. Chr. in Umlauf gesetzt. An der Assignatenwirthschaft sind die letzte und vorletzte, die Ming- und die Mongolen-Dynastie zu Grunde gegangen, und wenn uns die Pekinger Staatszeitung jemals die Nachricht bringen sollte, dass auch die Mandschu Schatz- scheine auszugeben begonnen hätten, dann dürfen wir sicher an- nehmen, dass in ihrem Stundenglase die letzten Körner abrinnen 1). Mit Zahlen wissen die Chinesen geschickt umzugehen. Sie sind nicht nur die Erfinder des Rechnenbrettes, sondern nach Angaben Sir John Bowrings verwenden sie beim Rechnen im Kopfe die Glieder an den Fingern der linken Hand als Ziffern bis zu einer Grösse von 99,999, und zwar so dass jeder Finger vom kleinen angefangen einen höheren decimalen Stellenwerth besitzt als der nächste 2). Das sogenannte Macadamisiren der Strassen ist eine uralte Erfindung der Chinesen, die wir ihnen erst seit 1820 nach- geahmt haben 3). Wenn wir im Marcusevangelium die Abendmahls- feier nachlesen, so lässt uns der griechische Ausdruck keinen Augenblick im Zweifel, dass Christus und seine Jünger mit den Fingern assen. Von den Chinesen erfahren wir, dass sie sich be- reits unter der zweiten Dynastie, also im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung der Essstäbchen aus Bambu und bald nachher aus Elfenbein bedienten 4). Werden wir endlich nach dem Alter der chinesischen Cultur befragt, so müssen wir damit beginnen, die Chinesen als treue und eifrige Geschichtschreiber zu preisen. Ihre beglaubigte Geschichte reicht zurück bis auf Yao oder nach der herkömmlichen Zeitrech- nung bis zum Jahre 2357. Die letztere Ziffer bedarf jedoch einer kritischen Abkürzung. Bis zum Jahre 826 v. Chr. ist nach Legge in der chinesischen Chronologie alles in strengster Ordnung; Plath, von dem man Uebereilungen nicht zu befürchten hat, geht sogar 1) Klaproth, sur l’origine du papier-monnaie, im Journal asiatique. Paris 1822. tom. I, p. 259—259. 2) Ausland 1868. S. 719. 3) Schmoller, Geschichte der deutschen Kleingewerbe. Halle 1870. S. 167. 4) Plath, im Ausland. 1869. S. 1214.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/407>, abgerufen am 28.04.2024.