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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
in den Berichten arabischer Reisenden aus den letzten Zeiten der
Abbasiden die ersten Beobachtungen der gesellschaftlichen Zustände
China's, welche Staunen zugleich und Bewunderung der Zeitgenossen
erregten. Etwa ein halbes Jahrtausend später kehrten die Poli
aus China nach Venedig zurück, und ihre Mittheilungen von der
Bevölkerungsdichtigkeit und den Riesenstädten des himmlischen
Reiches klangen so unglaubwürdig, dass man den jüngsten der
Reisenden, Marco, als einen Millionenschwätzer (Messer Milione)
verspottete. Jetzt ist es längst entschieden, dass der Venetianer
ein treuer und genauer Berichterstatter dessen gewesen ist was er
gesehen oder gehört hatte. An der Schwelle des 14. Jahrhunderts,
als Marco Polo die Wunder der ostasiatischen Gesellschaft be-
schrieb, hatte Europa in der That das chinesische Reich noch um
vieles, China in Bezug auf bürgerliche Ordnung und technische
Leistungen Europa noch um weniges zu beneiden.

Ihre Seidenzeuge, welche bereits der Prophet Hezeqiel 1) er-
wähnt, zogen den Chinesen den ersten Völkernamen zu, und das
Wort für Seide in den Sprachen des Abendlandes stammt, wie
Klaproth 2) längst gezeigt hat, aus dem Chinesischen. Irdenes
Geschirr kannten die Bewohner des himmlischen Reiches nach
ihrer freilich künstlichen und darum unzuverlässigen Chronologie
schon im Jahre 2698 v. Chr., aber die Porcellanbäckerei entwickelte
sich nach Stanislas Julien erst in der Zeit von 185--87 v. Chr. Wenn
im Schuking schon unter Thai-kang oder 2188--59 v. Chr. von
süssem "Wein" gesprochen wird, so muss zunächst daran erinnert
werden, dass erst ein chinesischer Feldherr, Tschang-khien, im
Jahre 130 v. Chr. den Rebstock und die Rebenzucht ins Reich
der Mitte einführte 3), dass aber heutigen Tages die Himmlischen
die Trauben wohl essen, aber nicht keltern. Der süsse Wein des
Schuking ist daher nichts anderes als das Gährungserzeugniss aus
Reis unter Zusatz eines Sauerteigs aus Weizen, während die
Branntweinbrennerei erst unter den Mongolenherrschern sich aus-
breitete 4). Auch der Thee wurde im alten China, also unter

1) Cap. XVI, v. 13 u. Fr. Spiegel im Ausland. 1867. S. 1023.
2) Tableaux historiques de l'Asie. Paris 1826. p. 58.
3) Plath, im Ausland 1869. S. 1213. Ueber den wilden Weinstock
(Vitis amurensis) in Nordchina vgl. Petermanns Mittheilungen. 1869. S. 304.
4) Huc, Chinesisches Reich. Bd 2. S. 206 ff.
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Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
in den Berichten arabischer Reisenden aus den letzten Zeiten der
Abbasiden die ersten Beobachtungen der gesellschaftlichen Zustände
China’s, welche Staunen zugleich und Bewunderung der Zeitgenossen
erregten. Etwa ein halbes Jahrtausend später kehrten die Poli
aus China nach Venedig zurück, und ihre Mittheilungen von der
Bevölkerungsdichtigkeit und den Riesenstädten des himmlischen
Reiches klangen so unglaubwürdig, dass man den jüngsten der
Reisenden, Marco, als einen Millionenschwätzer (Messer Milione)
verspottete. Jetzt ist es längst entschieden, dass der Venetianer
ein treuer und genauer Berichterstatter dessen gewesen ist was er
gesehen oder gehört hatte. An der Schwelle des 14. Jahrhunderts,
als Marco Polo die Wunder der ostasiatischen Gesellschaft be-
schrieb, hatte Europa in der That das chinesische Reich noch um
vieles, China in Bezug auf bürgerliche Ordnung und technische
Leistungen Europa noch um weniges zu beneiden.

Ihre Seidenzeuge, welche bereits der Prophet Hezeqiel 1) er-
wähnt, zogen den Chinesen den ersten Völkernamen zu, und das
Wort für Seide in den Sprachen des Abendlandes stammt, wie
Klaproth 2) längst gezeigt hat, aus dem Chinesischen. Irdenes
Geschirr kannten die Bewohner des himmlischen Reiches nach
ihrer freilich künstlichen und darum unzuverlässigen Chronologie
schon im Jahre 2698 v. Chr., aber die Porcellanbäckerei entwickelte
sich nach Stanislas Julien erst in der Zeit von 185—87 v. Chr. Wenn
im Schuking schon unter Thai-kang oder 2188—59 v. Chr. von
süssem „Wein“ gesprochen wird, so muss zunächst daran erinnert
werden, dass erst ein chinesischer Feldherr, Tschang-khien, im
Jahre 130 v. Chr. den Rebstock und die Rebenzucht ins Reich
der Mitte einführte 3), dass aber heutigen Tages die Himmlischen
die Trauben wohl essen, aber nicht keltern. Der süsse Wein des
Schuking ist daher nichts anderes als das Gährungserzeugniss aus
Reis unter Zusatz eines Sauerteigs aus Weizen, während die
Branntweinbrennerei erst unter den Mongolenherrschern sich aus-
breitete 4). Auch der Thee wurde im alten China, also unter

1) Cap. XVI, v. 13 u. Fr. Spiegel im Ausland. 1867. S. 1023.
2) Tableaux historiques de l’Asie. Paris 1826. p. 58.
3) Plath, im Ausland 1869. S. 1213. Ueber den wilden Weinstock
(Vitis amurensis) in Nordchina vgl. Petermanns Mittheilungen. 1869. S. 304.
4) Huc, Chinesisches Reich. Bd 2. S. 206 ff.
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[387/0405] Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. in den Berichten arabischer Reisenden aus den letzten Zeiten der Abbasiden die ersten Beobachtungen der gesellschaftlichen Zustände China’s, welche Staunen zugleich und Bewunderung der Zeitgenossen erregten. Etwa ein halbes Jahrtausend später kehrten die Poli aus China nach Venedig zurück, und ihre Mittheilungen von der Bevölkerungsdichtigkeit und den Riesenstädten des himmlischen Reiches klangen so unglaubwürdig, dass man den jüngsten der Reisenden, Marco, als einen Millionenschwätzer (Messer Milione) verspottete. Jetzt ist es längst entschieden, dass der Venetianer ein treuer und genauer Berichterstatter dessen gewesen ist was er gesehen oder gehört hatte. An der Schwelle des 14. Jahrhunderts, als Marco Polo die Wunder der ostasiatischen Gesellschaft be- schrieb, hatte Europa in der That das chinesische Reich noch um vieles, China in Bezug auf bürgerliche Ordnung und technische Leistungen Europa noch um weniges zu beneiden. Ihre Seidenzeuge, welche bereits der Prophet Hezeqiel 1) er- wähnt, zogen den Chinesen den ersten Völkernamen zu, und das Wort für Seide in den Sprachen des Abendlandes stammt, wie Klaproth 2) längst gezeigt hat, aus dem Chinesischen. Irdenes Geschirr kannten die Bewohner des himmlischen Reiches nach ihrer freilich künstlichen und darum unzuverlässigen Chronologie schon im Jahre 2698 v. Chr., aber die Porcellanbäckerei entwickelte sich nach Stanislas Julien erst in der Zeit von 185—87 v. Chr. Wenn im Schuking schon unter Thai-kang oder 2188—59 v. Chr. von süssem „Wein“ gesprochen wird, so muss zunächst daran erinnert werden, dass erst ein chinesischer Feldherr, Tschang-khien, im Jahre 130 v. Chr. den Rebstock und die Rebenzucht ins Reich der Mitte einführte 3), dass aber heutigen Tages die Himmlischen die Trauben wohl essen, aber nicht keltern. Der süsse Wein des Schuking ist daher nichts anderes als das Gährungserzeugniss aus Reis unter Zusatz eines Sauerteigs aus Weizen, während die Branntweinbrennerei erst unter den Mongolenherrschern sich aus- breitete 4). Auch der Thee wurde im alten China, also unter 1) Cap. XVI, v. 13 u. Fr. Spiegel im Ausland. 1867. S. 1023. 2) Tableaux historiques de l’Asie. Paris 1826. p. 58. 3) Plath, im Ausland 1869. S. 1213. Ueber den wilden Weinstock (Vitis amurensis) in Nordchina vgl. Petermanns Mittheilungen. 1869. S. 304. 4) Huc, Chinesisches Reich. Bd 2. S. 206 ff. 25*

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/405>, abgerufen am 27.04.2024.