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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
Chinesen anscheinend bewegungslos im Wasser. Das Vergnügen
der Spazierfahrenden litt übrigens nicht das mindeste unter diesem
Zwischenfalle, besonders nachdem die Officiere mit gutem Ergebniss
untersucht hatten, ob etwa der Radkasten erheblich beschädigt
worden sei.

Als Gegenstück wollen wir hier ein anderes Erlebniss ein-
schalten 1). Wir befinden uns mit Pumpelly im Norden auf der
Heimkehr aus den Gebieten des Steinkohlenbergbaues. Dort gab
ihm und seinem Gefährten Murray von der britischen Gesandt-
schaft, einem meisterhaften Sinologen, der Strassenpöbel von Ta-
hwei-tschang das Geleite. Pöbel bleibt Pöbel! Der chinesische er-
götzte sich durch Witze an den fremden Gestalten, geradeso wie eng-
lischer und amerikanischer Pöbel an bezopften Chinesen sich
ergötzt haben würde. Nach dem Lachen aber wurde die Stimmung
saurer, denn die Himmlischen warfen allerlei widerwärtige Pro-
jectile gegen die fremden Teufel, unbekümmert dass diese unter
der Obhut dreier Mandarinen reisten. Da kehrte Murray sein
Ross um, erhob die Hand um der Menge Schweigen zu gebieten,
und begann in trefflichem Chinesisch: "O, Volk von Ta-hwei-tschang,
übst du so die Gastlichkeit? Befolgst du so die Vorschriften
deiner Philosophen, dass man den Fremdling in den Mauern sanft
behandeln solle? Hast du den Spruch deines grossen Meisters
Confutse vergessen: Was ich nicht will dass ein anderer mir zu-
füge, das soll auch ich ihm nicht thun?" Im Nu änderte sich
der Auftritt, die alten Chinesen schüttelten wohlgefällig den Kopf,
die Buben aber bemühten sich durch Gefälligkeit den Eindruck
ihrer früheren Unarten wieder zu verwischen. Nun frage sich ein
jeder, was hätte eine amerikanische oder englische Strassenbevöl-
kerung gethan, wenn ein Chinese, um sich gröblichen Belästig-
ungen zu entziehen, ihr einen Satz aus der Bergpredigt vorge-
halten hätte?

In der alten Welt sind vorzugsweise die Chinesen dasjenige
Volk, von welchem mit Sicherheit sich behaupten lässt, dass es
seine Erkenntnisse beinahe vollständig aus sich selbst geschöpft
habe. Abgesehen von den undeutlichen Nachrichten bei den Ge-
schichtsschreibern und Geographen des Alterthums über ein Volk
im fernen Morgenlande welches Seidenzeuge webte, besitzen wir

1) Pumpelly, l. c. p. 299.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
Chinesen anscheinend bewegungslos im Wasser. Das Vergnügen
der Spazierfahrenden litt übrigens nicht das mindeste unter diesem
Zwischenfalle, besonders nachdem die Officiere mit gutem Ergebniss
untersucht hatten, ob etwa der Radkasten erheblich beschädigt
worden sei.

Als Gegenstück wollen wir hier ein anderes Erlebniss ein-
schalten 1). Wir befinden uns mit Pumpelly im Norden auf der
Heimkehr aus den Gebieten des Steinkohlenbergbaues. Dort gab
ihm und seinem Gefährten Murray von der britischen Gesandt-
schaft, einem meisterhaften Sinologen, der Strassenpöbel von Ta-
hwei-tschang das Geleite. Pöbel bleibt Pöbel! Der chinesische er-
götzte sich durch Witze an den fremden Gestalten, geradeso wie eng-
lischer und amerikanischer Pöbel an bezopften Chinesen sich
ergötzt haben würde. Nach dem Lachen aber wurde die Stimmung
saurer, denn die Himmlischen warfen allerlei widerwärtige Pro-
jectile gegen die fremden Teufel, unbekümmert dass diese unter
der Obhut dreier Mandarinen reisten. Da kehrte Murray sein
Ross um, erhob die Hand um der Menge Schweigen zu gebieten,
und begann in trefflichem Chinesisch: „O, Volk von Ta-hwei-tschang,
übst du so die Gastlichkeit? Befolgst du so die Vorschriften
deiner Philosophen, dass man den Fremdling in den Mauern sanft
behandeln solle? Hast du den Spruch deines grossen Meisters
Confutse vergessen: Was ich nicht will dass ein anderer mir zu-
füge, das soll auch ich ihm nicht thun?“ Im Nu änderte sich
der Auftritt, die alten Chinesen schüttelten wohlgefällig den Kopf,
die Buben aber bemühten sich durch Gefälligkeit den Eindruck
ihrer früheren Unarten wieder zu verwischen. Nun frage sich ein
jeder, was hätte eine amerikanische oder englische Strassenbevöl-
kerung gethan, wenn ein Chinese, um sich gröblichen Belästig-
ungen zu entziehen, ihr einen Satz aus der Bergpredigt vorge-
halten hätte?

In der alten Welt sind vorzugsweise die Chinesen dasjenige
Volk, von welchem mit Sicherheit sich behaupten lässt, dass es
seine Erkenntnisse beinahe vollständig aus sich selbst geschöpft
habe. Abgesehen von den undeutlichen Nachrichten bei den Ge-
schichtsschreibern und Geographen des Alterthums über ein Volk
im fernen Morgenlande welches Seidenzeuge webte, besitzen wir

1) Pumpelly, l. c. p. 299.
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[386/0404] Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. Chinesen anscheinend bewegungslos im Wasser. Das Vergnügen der Spazierfahrenden litt übrigens nicht das mindeste unter diesem Zwischenfalle, besonders nachdem die Officiere mit gutem Ergebniss untersucht hatten, ob etwa der Radkasten erheblich beschädigt worden sei. Als Gegenstück wollen wir hier ein anderes Erlebniss ein- schalten 1). Wir befinden uns mit Pumpelly im Norden auf der Heimkehr aus den Gebieten des Steinkohlenbergbaues. Dort gab ihm und seinem Gefährten Murray von der britischen Gesandt- schaft, einem meisterhaften Sinologen, der Strassenpöbel von Ta- hwei-tschang das Geleite. Pöbel bleibt Pöbel! Der chinesische er- götzte sich durch Witze an den fremden Gestalten, geradeso wie eng- lischer und amerikanischer Pöbel an bezopften Chinesen sich ergötzt haben würde. Nach dem Lachen aber wurde die Stimmung saurer, denn die Himmlischen warfen allerlei widerwärtige Pro- jectile gegen die fremden Teufel, unbekümmert dass diese unter der Obhut dreier Mandarinen reisten. Da kehrte Murray sein Ross um, erhob die Hand um der Menge Schweigen zu gebieten, und begann in trefflichem Chinesisch: „O, Volk von Ta-hwei-tschang, übst du so die Gastlichkeit? Befolgst du so die Vorschriften deiner Philosophen, dass man den Fremdling in den Mauern sanft behandeln solle? Hast du den Spruch deines grossen Meisters Confutse vergessen: Was ich nicht will dass ein anderer mir zu- füge, das soll auch ich ihm nicht thun?“ Im Nu änderte sich der Auftritt, die alten Chinesen schüttelten wohlgefällig den Kopf, die Buben aber bemühten sich durch Gefälligkeit den Eindruck ihrer früheren Unarten wieder zu verwischen. Nun frage sich ein jeder, was hätte eine amerikanische oder englische Strassenbevöl- kerung gethan, wenn ein Chinese, um sich gröblichen Belästig- ungen zu entziehen, ihr einen Satz aus der Bergpredigt vorge- halten hätte? In der alten Welt sind vorzugsweise die Chinesen dasjenige Volk, von welchem mit Sicherheit sich behaupten lässt, dass es seine Erkenntnisse beinahe vollständig aus sich selbst geschöpft habe. Abgesehen von den undeutlichen Nachrichten bei den Ge- schichtsschreibern und Geographen des Alterthums über ein Volk im fernen Morgenlande welches Seidenzeuge webte, besitzen wir 1) Pumpelly, l. c. p. 299.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/404>, abgerufen am 28.04.2024.