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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Haut in die menschliche getrieben -- gleich dem
Würgengel, ein Würgmensch und doch ohne
Leidenschaft. -- Es streckte nach Albano die
lange Hand aus, aber dieser, von etwas Un¬
nennbarem abgestoßen, konnte sie nicht anfas¬
sen. Dieser Bruder sagte, er komme von Pe¬
stiz -- übergab zwei Briefe daraus, einen an
Gaspard, einen für die Fürstinn -- und fieng
an, einiges über seine Reisen zu sagen, was
ungemein scharfsinnig, phantastisch, gelehrt,
unglaublich und oft recht unverständig schien.
Einmal sagte Albano: "das ist geradezu un¬
möglich." Er fieng die Erzählung wieder an,
machte sie noch unglaublicher und betheuerte,
es sey so in der That. Darauf gieng er fort,
wie er sagte, nach Griechenland und nahm vom
sterbenden Bruder den kühlsten Abschied.

Gaspard sagte jetzt zu Albano: "er möge
nach seinem Tod diesen Sonderling, wenn er
ihm nahe komme, recht wägen oder lieber
meiden, da er nie ein wahres Wort sage, blos
aus reiner Freude an reiner Lüge ohne Eigen¬
nutz; noch mehr, (fuhr er fort,) weiche dem
tiefen tödtlichen Skorpionstachel Bouverot's

Haut in die menſchliche getrieben — gleich dem
Würgengel, ein Würgmenſch und doch ohne
Leidenſchaft. — Es ſtreckte nach Albano die
lange Hand aus, aber dieſer, von etwas Un¬
nennbarem abgeſtoßen, konnte ſie nicht anfas¬
ſen. Dieſer Bruder ſagte, er komme von Pe¬
ſtiz — übergab zwei Briefe daraus, einen an
Gaſpard, einen für die Fürſtinn — und fieng
an, einiges über ſeine Reiſen zu ſagen, was
ungemein ſcharfſinnig, phantaſtiſch, gelehrt,
unglaublich und oft recht unverſtändig ſchien.
Einmal ſagte Albano: „das iſt geradezu un¬
möglich.“ Er fieng die Erzählung wieder an,
machte ſie noch unglaublicher und betheuerte,
es ſey ſo in der That. Darauf gieng er fort,
wie er ſagte, nach Griechenland und nahm vom
ſterbenden Bruder den kühlſten Abſchied.

Gaſpard ſagte jetzt zu Albano: „er möge
nach ſeinem Tod dieſen Sonderling, wenn er
ihm nahe komme, recht wägen oder lieber
meiden, da er nie ein wahres Wort ſage, blos
aus reiner Freude an reiner Lüge ohne Eigen¬
nutz; noch mehr, (fuhr er fort,) weiche dem
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[76/0088] Haut in die menſchliche getrieben — gleich dem Würgengel, ein Würgmenſch und doch ohne Leidenſchaft. — Es ſtreckte nach Albano die lange Hand aus, aber dieſer, von etwas Un¬ nennbarem abgeſtoßen, konnte ſie nicht anfas¬ ſen. Dieſer Bruder ſagte, er komme von Pe¬ ſtiz — übergab zwei Briefe daraus, einen an Gaſpard, einen für die Fürſtinn — und fieng an, einiges über ſeine Reiſen zu ſagen, was ungemein ſcharfſinnig, phantaſtiſch, gelehrt, unglaublich und oft recht unverſtändig ſchien. Einmal ſagte Albano: „das iſt geradezu un¬ möglich.“ Er fieng die Erzählung wieder an, machte ſie noch unglaublicher und betheuerte, es ſey ſo in der That. Darauf gieng er fort, wie er ſagte, nach Griechenland und nahm vom ſterbenden Bruder den kühlſten Abſchied. Gaſpard ſagte jetzt zu Albano: „er möge nach ſeinem Tod dieſen Sonderling, wenn er ihm nahe komme, recht wägen oder lieber meiden, da er nie ein wahres Wort ſage, blos aus reiner Freude an reiner Lüge ohne Eigen¬ nutz; noch mehr, (fuhr er fort,) weiche dem tiefen tödtlichen Skorpionſtachel Bouverot's

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/88>, abgerufen am 25.11.2024.