lich. Sie spielte Lianen so gut sie wußte nach und nahm den Nonnenschleier einer religiösen Jungfräulichkeit aus ihrer Bühnen-Garderobe hervor, obgleich genialische Weiber meistens ungläubig sind wie genialische Männer gläu¬ big. Sie machte ihn zum Vertrauten ihrer -- Vergangenheit und gab die Geschichte derer, die für sie gestorben waren, oder doch ver¬ schmachtet, nach weiblicher Art mehr froh als reuig; nur das Verhältniß mit seinem Vater ließ sie schonend hinter einem rührenden Leichen¬ schleier auferstehen, und ahmte überhaupt dem Sohne in der Achtung für den Ritter nach, den sie innerlich bitter haßte. Wenn Albano stundenlang die Gegenwart vergaß und starr ins Opferfeuer der Vergangenheit und Kunst blickte und ihr auf den Bergen seiner Welt Flammen zeigte, die nicht auf ihrem Altar brannten, so begleitete sie ihn geduldig auf diesem Kunst-Wege und hielt nur wo sie konn¬ te, vor Stellen an, wo man einige Aussicht in die -- Gegenwart hatte.
Er wurde täglich ihr wärmerer Freund, ohne sie nur zu errathen. Nur ein Mann --
lich. Sie ſpielte Lianen ſo gut ſie wußte nach und nahm den Nonnenſchleier einer religiöſen Jungfräulichkeit aus ihrer Bühnen-Garderobe hervor, obgleich genialiſche Weiber meiſtens ungläubig ſind wie genialiſche Männer gläu¬ big. Sie machte ihn zum Vertrauten ihrer — Vergangenheit und gab die Geſchichte derer, die für ſie geſtorben waren, oder doch ver¬ ſchmachtet, nach weiblicher Art mehr froh als reuig; nur das Verhältniß mit ſeinem Vater ließ ſie ſchonend hinter einem rührenden Leichen¬ ſchleier auferſtehen, und ahmte überhaupt dem Sohne in der Achtung für den Ritter nach, den ſie innerlich bitter haßte. Wenn Albano ſtundenlang die Gegenwart vergaß und ſtarr ins Opferfeuer der Vergangenheit und Kunſt blickte und ihr auf den Bergen ſeiner Welt Flammen zeigte, die nicht auf ihrem Altar brannten, ſo begleitete ſie ihn geduldig auf dieſem Kunſt-Wege und hielt nur wo ſie konn¬ te, vor Stellen an, wo man einige Ausſicht in die — Gegenwart hatte.
Er wurde täglich ihr wärmerer Freund, ohne ſie nur zu errathen. Nur ein Mann —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0082"n="70"/>
lich. Sie ſpielte Lianen ſo gut ſie wußte nach<lb/>
und nahm den Nonnenſchleier einer religiöſen<lb/>
Jungfräulichkeit aus ihrer Bühnen-Garderobe<lb/>
hervor, obgleich genialiſche Weiber meiſtens<lb/>
ungläubig ſind wie genialiſche Männer gläu¬<lb/>
big. Sie machte ihn zum Vertrauten ihrer —<lb/>
Vergangenheit und gab die Geſchichte derer,<lb/>
die für ſie geſtorben waren, oder doch ver¬<lb/>ſchmachtet, nach weiblicher Art mehr froh als<lb/>
reuig; nur das Verhältniß mit ſeinem Vater<lb/>
ließ ſie ſchonend hinter einem rührenden Leichen¬<lb/>ſchleier auferſtehen, und ahmte überhaupt dem<lb/>
Sohne in der Achtung für den Ritter nach,<lb/>
den ſie innerlich bitter haßte. Wenn Albano<lb/>ſtundenlang die Gegenwart vergaß und ſtarr<lb/>
ins Opferfeuer der Vergangenheit und Kunſt<lb/>
blickte und ihr auf den Bergen ſeiner Welt<lb/>
Flammen zeigte, die nicht auf ihrem Altar<lb/>
brannten, ſo begleitete ſie ihn geduldig auf<lb/>
dieſem Kunſt-Wege und hielt nur wo ſie konn¬<lb/>
te, vor Stellen an, wo man einige Ausſicht in<lb/>
die — Gegenwart hatte.</p><lb/><p>Er wurde täglich ihr <hirendition="#g">wärmerer</hi> Freund,<lb/>
ohne ſie nur zu errathen. Nur ein Mann —<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[70/0082]
lich. Sie ſpielte Lianen ſo gut ſie wußte nach
und nahm den Nonnenſchleier einer religiöſen
Jungfräulichkeit aus ihrer Bühnen-Garderobe
hervor, obgleich genialiſche Weiber meiſtens
ungläubig ſind wie genialiſche Männer gläu¬
big. Sie machte ihn zum Vertrauten ihrer —
Vergangenheit und gab die Geſchichte derer,
die für ſie geſtorben waren, oder doch ver¬
ſchmachtet, nach weiblicher Art mehr froh als
reuig; nur das Verhältniß mit ſeinem Vater
ließ ſie ſchonend hinter einem rührenden Leichen¬
ſchleier auferſtehen, und ahmte überhaupt dem
Sohne in der Achtung für den Ritter nach,
den ſie innerlich bitter haßte. Wenn Albano
ſtundenlang die Gegenwart vergaß und ſtarr
ins Opferfeuer der Vergangenheit und Kunſt
blickte und ihr auf den Bergen ſeiner Welt
Flammen zeigte, die nicht auf ihrem Altar
brannten, ſo begleitete ſie ihn geduldig auf
dieſem Kunſt-Wege und hielt nur wo ſie konn¬
te, vor Stellen an, wo man einige Ausſicht in
die — Gegenwart hatte.
Er wurde täglich ihr wärmerer Freund,
ohne ſie nur zu errathen. Nur ein Mann —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/82>, abgerufen am 07.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.