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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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nur genießen und vor dem Feuer der Kunst
weich zerschmelzen könne, anstatt sich scham¬
roth aufzumachen und nach Kräften und Tha¬
ten zu ringen, das begreif' ich nicht. Im ge¬
malten, gedichteten Rom, darin mag die Muße
schwelgen; aber im wahren, wo Dich die Obe¬
lisken, das Coliseo, das Kapitolium, die Tri¬
umphbogen unaufhörlich ansehen und tadeln,
wo die Geschichte der alten Thaten den gan¬
zen Tag wie ein unsichtbarer Sturmwind durch
die Stadt fortrauschet und Dich drängt und hebt,
o wer kann sich unwürdig und zusehend hinle¬
gen vor die herrliche Bewegung der Welt? --
Die Geister der Heiligen, der Helden, der Künst¬
ler gehen dem lebendigen Menschen nach und
fragen zornig: was bist Du? -- Ganz anders
gehst Du aus dem Vatikan des Raphaels und
über das Kapitolium herunter, als Du aus ir¬
gend einer Deutschen Bildergallerie und einem
Antikenkabinet heraustrittst. Dort siehst Du
auf allen Hügeln alte ewige Herrlichkeit, jede
Römerinn ist mit Gestalt und Stolz noch ihrer
Stadt verwandt, der Transteveriner ist der
Sparter und Du findest so wenig einen Rö¬

nur genießen und vor dem Feuer der Kunſt
weich zerſchmelzen könne, anſtatt ſich ſcham¬
roth aufzumachen und nach Kräften und Tha¬
ten zu ringen, das begreif' ich nicht. Im ge¬
malten, gedichteten Rom, darin mag die Muße
ſchwelgen; aber im wahren, wo Dich die Obe¬
lisken, das Coliſeo, das Kapitolium, die Tri¬
umphbogen unaufhörlich anſehen und tadeln,
wo die Geſchichte der alten Thaten den gan¬
zen Tag wie ein unſichtbarer Sturmwind durch
die Stadt fortrauſchet und Dich drängt und hebt,
o wer kann ſich unwürdig und zuſehend hinle¬
gen vor die herrliche Bewegung der Welt? —
Die Geiſter der Heiligen, der Helden, der Künſt¬
ler gehen dem lebendigen Menſchen nach und
fragen zornig: was biſt Du? — Ganz anders
gehſt Du aus dem Vatikan des Raphaels und
über das Kapitolium herunter, als Du aus ir¬
gend einer Deutſchen Bildergallerie und einem
Antikenkabinet heraustrittſt. Dort ſiehſt Du
auf allen Hügeln alte ewige Herrlichkeit, jede
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[50/0062] nur genießen und vor dem Feuer der Kunſt weich zerſchmelzen könne, anſtatt ſich ſcham¬ roth aufzumachen und nach Kräften und Tha¬ ten zu ringen, das begreif' ich nicht. Im ge¬ malten, gedichteten Rom, darin mag die Muße ſchwelgen; aber im wahren, wo Dich die Obe¬ lisken, das Coliſeo, das Kapitolium, die Tri¬ umphbogen unaufhörlich anſehen und tadeln, wo die Geſchichte der alten Thaten den gan¬ zen Tag wie ein unſichtbarer Sturmwind durch die Stadt fortrauſchet und Dich drängt und hebt, o wer kann ſich unwürdig und zuſehend hinle¬ gen vor die herrliche Bewegung der Welt? — Die Geiſter der Heiligen, der Helden, der Künſt¬ ler gehen dem lebendigen Menſchen nach und fragen zornig: was biſt Du? — Ganz anders gehſt Du aus dem Vatikan des Raphaels und über das Kapitolium herunter, als Du aus ir¬ gend einer Deutſchen Bildergallerie und einem Antikenkabinet heraustrittſt. Dort ſiehſt Du auf allen Hügeln alte ewige Herrlichkeit, jede Römerinn iſt mit Geſtalt und Stolz noch ihrer Stadt verwandt, der Transteveriner iſt der Sparter und Du findeſt ſo wenig einen Rö¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/62>, abgerufen am 07.05.2024.