Er legte sich auf den Rasen und die Pi¬ stole neben sich und sagte stammelnd: "so lieg' ich denn in der warmen Asche meines aufge¬ brannten Lebens -- und meine kalte kommt dazu -- (Er legte seine Doppellorgnette an die Augen fest und blickte funkelnd hinüber zu Linda) Ich habe sie am Herzen gehabt, die göttliche Schönheit, meine ewige Liebe; meine Tulpe, die sich nun am Abend über der Biene schließet, damit sie im Blumenkelche sterbe -- auf den Rasen meines Abends ruh' ich und sterb' ich -- Ich schaue die Holde noch seelig an -- Ich kann nicht bereuen -- Vergieb nur, armer Carlos, ich streiche die Schuld mit Blut durch, aber mit Buß-Thränen kann ich nicht -- Sollte sich am Ufer der Ewigkeit das, was die Zeit an diesem Ufer abspühlt, wieder anle¬ gen: so hab' ich's dort schlimm, ich kann mich dort so wenig ändern als hier." --
Jetzt geschah in der Stadt ein Kanonen¬ schuß, um einen Deserteur anzukündigen. Er nahm seine Pistole in die Hand: "ja ja, ein Schuß bedeutet einen Flüchtling, -- auch aus der Welt -- O wenn hebt sich die scharfe Si¬
Er legte ſich auf den Raſen und die Pi¬ ſtole neben ſich und ſagte ſtammelnd: „ſo lieg' ich denn in der warmen Aſche meines aufge¬ brannten Lebens — und meine kalte kommt dazu — (Er legte ſeine Doppellorgnette an die Augen feſt und blickte funkelnd hinüber zu Linda) Ich habe ſie am Herzen gehabt, die göttliche Schönheit, meine ewige Liebe; meine Tulpe, die ſich nun am Abend über der Biene ſchließet, damit ſie im Blumenkelche ſterbe — auf den Raſen meines Abends ruh' ich und ſterb' ich — Ich ſchaue die Holde noch ſeelig an — Ich kann nicht bereuen — Vergieb nur, armer Carlos, ich ſtreiche die Schuld mit Blut durch, aber mit Buß-Thränen kann ich nicht — Sollte ſich am Ufer der Ewigkeit das, was die Zeit an dieſem Ufer abſpühlt, wieder anle¬ gen: ſo hab' ich's dort ſchlimm, ich kann mich dort ſo wenig ändern als hier.“ —
Jetzt geſchah in der Stadt ein Kanonen¬ ſchuß, um einen Deſerteur anzukündigen. Er nahm ſeine Piſtole in die Hand: „ja ja, ein Schuß bedeutet einen Flüchtling, — auch aus der Welt — O wenn hebt ſich die ſcharfe Si¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0420"n="408"/><p>Er legte ſich auf den Raſen und die Pi¬<lb/>ſtole neben ſich und ſagte ſtammelnd: „ſo lieg'<lb/>
ich denn in der warmen Aſche meines aufge¬<lb/>
brannten Lebens — und meine kalte kommt<lb/>
dazu — (Er legte ſeine Doppellorgnette an die<lb/>
Augen feſt und blickte funkelnd hinüber zu<lb/>
Linda) Ich habe ſie am Herzen gehabt, die<lb/>
göttliche Schönheit, meine ewige Liebe; meine<lb/>
Tulpe, die ſich nun am Abend über der Biene<lb/>ſchließet, damit ſie im Blumenkelche ſterbe —<lb/>
auf den Raſen meines Abends ruh' ich und<lb/>ſterb' ich — Ich ſchaue die Holde noch ſeelig<lb/>
an — Ich kann nicht bereuen — Vergieb nur,<lb/>
armer Carlos, ich ſtreiche die Schuld mit Blut<lb/>
durch, aber mit Buß-Thränen kann ich nicht<lb/>— Sollte ſich am Ufer der Ewigkeit das, was<lb/>
die Zeit an dieſem Ufer abſpühlt, wieder anle¬<lb/>
gen: ſo hab' ich's dort ſchlimm, ich kann mich<lb/>
dort ſo wenig ändern als hier.“—</p><lb/><p>Jetzt geſchah in der Stadt ein Kanonen¬<lb/>ſchuß, um einen Deſerteur anzukündigen. Er<lb/>
nahm ſeine Piſtole in die Hand: „ja ja, ein<lb/>
Schuß bedeutet einen Flüchtling, — auch aus<lb/>
der Welt — O wenn hebt ſich die ſcharfe Si¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[408/0420]
Er legte ſich auf den Raſen und die Pi¬
ſtole neben ſich und ſagte ſtammelnd: „ſo lieg'
ich denn in der warmen Aſche meines aufge¬
brannten Lebens — und meine kalte kommt
dazu — (Er legte ſeine Doppellorgnette an die
Augen feſt und blickte funkelnd hinüber zu
Linda) Ich habe ſie am Herzen gehabt, die
göttliche Schönheit, meine ewige Liebe; meine
Tulpe, die ſich nun am Abend über der Biene
ſchließet, damit ſie im Blumenkelche ſterbe —
auf den Raſen meines Abends ruh' ich und
ſterb' ich — Ich ſchaue die Holde noch ſeelig
an — Ich kann nicht bereuen — Vergieb nur,
armer Carlos, ich ſtreiche die Schuld mit Blut
durch, aber mit Buß-Thränen kann ich nicht
— Sollte ſich am Ufer der Ewigkeit das, was
die Zeit an dieſem Ufer abſpühlt, wieder anle¬
gen: ſo hab' ich's dort ſchlimm, ich kann mich
dort ſo wenig ändern als hier.“ —
Jetzt geſchah in der Stadt ein Kanonen¬
ſchuß, um einen Deſerteur anzukündigen. Er
nahm ſeine Piſtole in die Hand: „ja ja, ein
Schuß bedeutet einen Flüchtling, — auch aus
der Welt — O wenn hebt ſich die ſcharfe Si¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/420>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.