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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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doch etwas von ihnen zu lernen. Dich liebt sie
sehr, mich glaub' ich weniger, einem so reizen¬
den Mittelding von Nonne und Ehefrau schein'
ich zu weltlich, ob es gleich nicht ist."

Beide kamen im schönen Zauberdorfe -- als
schon die netten Kinder sich zur Ährenlese ver¬
bündeten und die Wagen schon den Sammlern
der Garben entgegenfuhren -- Nachmittags vor
dem Mittagsessen an. Idoinens Bruder, der
künftige Erbfürst von Hohenflies, -- der Zwerg in
Tivoli -- sah aus dem Fenster und Julienne
bedauerte fast die Reise. Idoine flog ihr ent¬
gegen und drückte sie herzlich an die Brust.
Als Julienne dieses große blaue Auge und je¬
den verklärten Zug der Gestalt, die einst ihr
Bruder so seelig und schmerzlich geliebt, vor
und auf ihrem Angesicht hatte: so glaubte sie
jetzt, da sie seine Schwester geworden, gleich¬
sam als seine Stellvertreterlnn die Liebe der
Stellvertreterinn Lianens zu empfangen; und
sie mußte, wie allzeit seit diesem Tode bei dem
ersten Empfange, innig weinen.

Linda wurde von der Prinzessinn mit einer
so tiefen Zärtlichkeit empfangen, daß sich Ju¬

doch etwas von ihnen zu lernen. Dich liebt ſie
ſehr, mich glaub' ich weniger, einem ſo reizen¬
den Mittelding von Nonne und Ehefrau ſchein'
ich zu weltlich, ob es gleich nicht iſt.“

Beide kamen im ſchönen Zauberdorfe — als
ſchon die netten Kinder ſich zur Ährenleſe ver¬
bündeten und die Wagen ſchon den Sammlern
der Garben entgegenfuhren — Nachmittags vor
dem Mittagseſſen an. Idoinens Bruder, der
künftige Erbfürſt von Hohenflies, — der Zwerg in
Tivoli — ſah aus dem Fenſter und Julienne
bedauerte faſt die Reiſe. Idoine flog ihr ent¬
gegen und drückte ſie herzlich an die Bruſt.
Als Julienne dieſes große blaue Auge und je¬
den verklärten Zug der Geſtalt, die einſt ihr
Bruder ſo ſeelig und ſchmerzlich geliebt, vor
und auf ihrem Angeſicht hatte: ſo glaubte ſie
jetzt, da ſie ſeine Schweſter geworden, gleich¬
ſam als ſeine Stellvertreterlnn die Liebe der
Stellvertreterinn Lianens zu empfangen; und
ſie mußte, wie allzeit ſeit dieſem Tode bei dem
erſten Empfange, innig weinen.

Linda wurde von der Prinzeſſinn mit einer
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[324/0336] doch etwas von ihnen zu lernen. Dich liebt ſie ſehr, mich glaub' ich weniger, einem ſo reizen¬ den Mittelding von Nonne und Ehefrau ſchein' ich zu weltlich, ob es gleich nicht iſt.“ Beide kamen im ſchönen Zauberdorfe — als ſchon die netten Kinder ſich zur Ährenleſe ver¬ bündeten und die Wagen ſchon den Sammlern der Garben entgegenfuhren — Nachmittags vor dem Mittagseſſen an. Idoinens Bruder, der künftige Erbfürſt von Hohenflies, — der Zwerg in Tivoli — ſah aus dem Fenſter und Julienne bedauerte faſt die Reiſe. Idoine flog ihr ent¬ gegen und drückte ſie herzlich an die Bruſt. Als Julienne dieſes große blaue Auge und je¬ den verklärten Zug der Geſtalt, die einſt ihr Bruder ſo ſeelig und ſchmerzlich geliebt, vor und auf ihrem Angeſicht hatte: ſo glaubte ſie jetzt, da ſie ſeine Schweſter geworden, gleich¬ ſam als ſeine Stellvertreterlnn die Liebe der Stellvertreterinn Lianens zu empfangen; und ſie mußte, wie allzeit ſeit dieſem Tode bei dem erſten Empfange, innig weinen. Linda wurde von der Prinzeſſinn mit einer ſo tiefen Zärtlichkeit empfangen, daß ſich Ju¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/336>, abgerufen am 22.11.2024.