nicht. Ich will Dir erzählen." Die schöne Weiblichkeit, die den Geliebten heisser und nä¬ her liebt, wenn sie zum erstenmale sein Eigen¬ thum, seine Kindheitsörter, seine Wohnungen betreten, erfüllte unerkannt ihr starkes Herz. Er küßte sie nicht -- er sah sie an und weinte in Liebes-Wonne -- sie neigte sich herüber und sagte, aber heiter: "ich weine sehr schwer, Lie¬ ber! Ich will Dir das von meiner Kindheit er¬ zählen, was Du verlangtest. Von meinen er¬ sten Kindheits-Plätzen ist mir wenig geblieben, vielleicht weil wir immer reiseten und weil ich auch mehr nach Menschen als nach Gegenden sehe -- außer mein längster Aufenthalt in Valenzia. -- Vom frühen hab' ich wohl meine Reise-Sucht. Am Ende liegt sie doch in mir. Aber Ihr glaubt immer, wie die Deutschen, das zu erlernen, was Ihr eigentlich ererbt oder erschafft. Von meiner Mutter wurd' ich mehr als von jemand gehasset und geliebt. Jetzt bin ich klar über sie. Sie war ganz für die Kunst oder für die Künste gebohren, ob ich wohl glaube, daß sie von den Göttern eigentlich für die Bühne ausersehen war. Sie war alles in
nicht. Ich will Dir erzählen.“ Die ſchöne Weiblichkeit, die den Geliebten heiſſer und nä¬ her liebt, wenn ſie zum erſtenmale ſein Eigen¬ thum, ſeine Kindheitsörter, ſeine Wohnungen betreten, erfüllte unerkannt ihr ſtarkes Herz. Er küßte ſie nicht — er ſah ſie an und weinte in Liebes-Wonne — ſie neigte ſich herüber und ſagte, aber heiter: „ich weine ſehr ſchwer, Lie¬ ber! Ich will Dir das von meiner Kindheit er¬ zählen, was Du verlangteſt. Von meinen er¬ ſten Kindheits-Plätzen iſt mir wenig geblieben, vielleicht weil wir immer reiſeten und weil ich auch mehr nach Menſchen als nach Gegenden ſehe — außer mein längſter Aufenthalt in Valenzia. — Vom frühen hab' ich wohl meine Reiſe-Sucht. Am Ende liegt ſie doch in mir. Aber Ihr glaubt immer, wie die Deutſchen, das zu erlernen, was Ihr eigentlich ererbt oder erſchafft. Von meiner Mutter wurd' ich mehr als von jemand gehaſſet und geliebt. Jetzt bin ich klar über ſie. Sie war ganz für die Kunſt oder für die Künſte gebohren, ob ich wohl glaube, daß ſie von den Göttern eigentlich für die Bühne auserſehen war. Sie war alles in
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Weiblichkeit, die den Geliebten heiſſer und nä¬
her liebt, wenn ſie zum erſtenmale ſein Eigen¬
thum, ſeine Kindheitsörter, ſeine Wohnungen
betreten, erfüllte unerkannt ihr ſtarkes Herz.
Er küßte ſie nicht — er ſah ſie an und weinte
in Liebes-Wonne — ſie neigte ſich herüber und
ſagte, aber heiter: „ich weine ſehr ſchwer, Lie¬
ber! Ich will Dir das von meiner Kindheit er¬
zählen, was Du verlangteſt. Von meinen er¬
ſten Kindheits-Plätzen iſt mir wenig geblieben,
vielleicht weil wir immer reiſeten und weil ich auch
mehr nach Menſchen als nach Gegenden ſehe
— außer mein längſter Aufenthalt in Valenzia.
— Vom frühen hab' ich wohl meine
Reiſe-Sucht. Am Ende liegt ſie doch in mir.
Aber Ihr glaubt immer, wie die Deutſchen,
das zu erlernen, was Ihr eigentlich ererbt oder
erſchafft. Von meiner Mutter wurd' ich mehr
als von jemand gehaſſet und geliebt. Jetzt bin
ich klar über ſie. Sie war ganz für die Kunſt
oder für die Künſte gebohren, ob ich wohl
glaube, daß ſie von den Göttern eigentlich für
die Bühne auserſehen war. Sie war alles in
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/250>, abgerufen am 22.11.2024.
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