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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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"Ich will Dich nur erst bekränzen, da wir am
rechten Orte sind," sagte sie und brach und
band aus dem Lorbeerwald, durch dessen Ge¬
wimmel von lichten und dunkeln Wellen sie
jetzt giengen, Zweige zum Kranz. Körperliche
Geschäftigkeit gab dieser Jungfrau, welche leich¬
ter Töne und Farben und Ideen verknüpfte,
ein besonders rührendes Ansehen von Kindlich¬
keit und naiver Herablassung. Sie flocht die
Krone aber mühsam, verwechselte einmal den
ähnlichen Erdbeerbaum mit dem Lorbeerbaum,
that noch einen blühenden Myrtenzweig hinein
und schmückte damit sein lockiges Haar, aber
sehr ernst: "der Kranz geziemt Dir; die hohen
Lorbeern oben am Gipfel wirst Du Dir schon
einmal selber holen," sagte sie. Er glaubte, sie
spiele unter dem Ernst, allein sie sah den Be¬
kränzten freudig und prüfend an und lächelnd,
aber wie eine Mutter und sagte: -- "So ist's
recht! Was willst Du noch? Ich bring' es.
Albano, ich habe in dieser Stunde eine ganz
besondere und neue Liebe zu Dir, ich möchte
für Dich viel thun, viel leiden. Mein Herz ist
bewegt von überschwenglicher Liebe. Küsse mich

„Ich will Dich nur erſt bekränzen, da wir am
rechten Orte ſind,“ ſagte ſie und brach und
band aus dem Lorbeerwald, durch deſſen Ge¬
wimmel von lichten und dunkeln Wellen ſie
jetzt giengen, Zweige zum Kranz. Körperliche
Geſchäftigkeit gab dieſer Jungfrau, welche leich¬
ter Töne und Farben und Ideen verknüpfte,
ein beſonders rührendes Anſehen von Kindlich¬
keit und naiver Herablaſſung. Sie flocht die
Krone aber mühſam, verwechſelte einmal den
ähnlichen Erdbeerbaum mit dem Lorbeerbaum,
that noch einen blühenden Myrtenzweig hinein
und ſchmückte damit ſein lockiges Haar, aber
ſehr ernſt: „der Kranz geziemt Dir; die hohen
Lorbeern oben am Gipfel wirſt Du Dir ſchon
einmal ſelber holen,“ ſagte ſie. Er glaubte, ſie
ſpiele unter dem Ernſt, allein ſie ſah den Be¬
kränzten freudig und prüfend an und lächelnd,
aber wie eine Mutter und ſagte: — „So iſt's
recht! Was willſt Du noch? Ich bring' es.
Albano, ich habe in dieſer Stunde eine ganz
beſondere und neue Liebe zu Dir, ich möchte
für Dich viel thun, viel leiden. Mein Herz iſt
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[237/0249] „Ich will Dich nur erſt bekränzen, da wir am rechten Orte ſind,“ ſagte ſie und brach und band aus dem Lorbeerwald, durch deſſen Ge¬ wimmel von lichten und dunkeln Wellen ſie jetzt giengen, Zweige zum Kranz. Körperliche Geſchäftigkeit gab dieſer Jungfrau, welche leich¬ ter Töne und Farben und Ideen verknüpfte, ein beſonders rührendes Anſehen von Kindlich¬ keit und naiver Herablaſſung. Sie flocht die Krone aber mühſam, verwechſelte einmal den ähnlichen Erdbeerbaum mit dem Lorbeerbaum, that noch einen blühenden Myrtenzweig hinein und ſchmückte damit ſein lockiges Haar, aber ſehr ernſt: „der Kranz geziemt Dir; die hohen Lorbeern oben am Gipfel wirſt Du Dir ſchon einmal ſelber holen,“ ſagte ſie. Er glaubte, ſie ſpiele unter dem Ernſt, allein ſie ſah den Be¬ kränzten freudig und prüfend an und lächelnd, aber wie eine Mutter und ſagte: — „So iſt's recht! Was willſt Du noch? Ich bring' es. Albano, ich habe in dieſer Stunde eine ganz beſondere und neue Liebe zu Dir, ich möchte für Dich viel thun, viel leiden. Mein Herz iſt bewegt von überſchwenglicher Liebe. Küſſe mich

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/249>, abgerufen am 02.05.2024.