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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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"Aber Julie, Du bist meine Severina und
mehr" sagt' er; "ich denke (sagte sie sanft)
eben so viel." -- Nicht weit von der Arkade
hatt' er zum erstenmal in das Angesicht seines
Vaters geschauet: "o wenn findest Du aber
Deinen endlich? Sprich darüber, gute Linda!"
sagt' er. Sie erröthete und sagte: "ich werd'
ihn finden, wenn das Schicksal es zulässet."
"Wenn aber ist das?" -- "Ich weiß nichts,"
sagte sie zögernd sanft. Da rührte ihn Julienne
winkend an und sagte in so vielem französischen
Latein, als sie zusammentreiben konnte, aber in
einem gleichgültigen Ton als spreche sie vor sich
selber hin: "non eam interroga amplius, nam
pater veniet (ut dictur) die nuptiarum
*)."
Er blickte sie verwundert an, sie nickte sehr oft.
"Julie ist (sagte Linda lächelnd) wie die Wei¬
ber, so listig im Handeln als offen im Spre¬
chen. Ich hätte mich keinem Bruder so lange
verstecken können." -- "Dafür (versetzte sie)
bekamen die Geschwister einander gleich ausge¬

*) Frage sie nicht länger, denn ihr Vater soll,
wie man sagt, an ihrem Hochzeittage kommen.

„Aber Julie, Du biſt meine Severina und
mehr“ ſagt' er; „ich denke (ſagte ſie ſanft)
eben ſo viel.“ — Nicht weit von der Arkade
hatt' er zum erſtenmal in das Angeſicht ſeines
Vaters geſchauet: „o wenn findeſt Du aber
Deinen endlich? Sprich darüber, gute Linda!“
ſagt' er. Sie erröthete und ſagte: „ich werd'
ihn finden, wenn das Schickſal es zuläſſet.“
„Wenn aber iſt das?“ — „Ich weiß nichts,“
ſagte ſie zögernd ſanft. Da rührte ihn Julienne
winkend an und ſagte in ſo vielem franzöſiſchen
Latein, als ſie zuſammentreiben konnte, aber in
einem gleichgültigen Ton als ſpreche ſie vor ſich
ſelber hin: „non eam interroga amplius, nam
pater veniet (ut dictur) die nuptiarum
*).“
Er blickte ſie verwundert an, ſie nickte ſehr oft.
„Julie iſt (ſagte Linda lächelnd) wie die Wei¬
ber, ſo liſtig im Handeln als offen im Spre¬
chen. Ich hätte mich keinem Bruder ſo lange
verſtecken können.“ — „Dafür (verſetzte ſie)
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[231/0243] „Aber Julie, Du biſt meine Severina und mehr“ ſagt' er; „ich denke (ſagte ſie ſanft) eben ſo viel.“ — Nicht weit von der Arkade hatt' er zum erſtenmal in das Angeſicht ſeines Vaters geſchauet: „o wenn findeſt Du aber Deinen endlich? Sprich darüber, gute Linda!“ ſagt' er. Sie erröthete und ſagte: „ich werd' ihn finden, wenn das Schickſal es zuläſſet.“ „Wenn aber iſt das?“ — „Ich weiß nichts,“ ſagte ſie zögernd ſanft. Da rührte ihn Julienne winkend an und ſagte in ſo vielem franzöſiſchen Latein, als ſie zuſammentreiben konnte, aber in einem gleichgültigen Ton als ſpreche ſie vor ſich ſelber hin: „non eam interroga amplius, nam pater veniet (ut dictur) die nuptiarum *).“ Er blickte ſie verwundert an, ſie nickte ſehr oft. „Julie iſt (ſagte Linda lächelnd) wie die Wei¬ ber, ſo liſtig im Handeln als offen im Spre¬ chen. Ich hätte mich keinem Bruder ſo lange verſtecken können.“ — „Dafür (verſetzte ſie) bekamen die Geſchwiſter einander gleich ausge¬ *) Frage ſie nicht länger, denn ihr Vater ſoll, wie man ſagt, an ihrem Hochzeittage kommen.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/243>, abgerufen am 02.05.2024.