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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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ter rechter Liebe wieder?" so sprach er fort in
beredter Trunkenheit, aus dem langen träu¬
menden Warten geschöpft. Linda sah mit heim¬
licher Engels-Lust, mit lieblichem Wiederschein
in die hoch spielenden Flammen seiner Liebe;
und die Schwester genoß in süßer Regung die
schöne Milde auf beider Angesicht, welche an
der Kraft so bezaubert wie Mondlicht an einem
Gebürg'. Reisebeschreibungen wurden von bei¬
den Seiten angefangen, aber keine geendigt;
Tags- und Insel-Ordnungen vorgelegt, aber
keine gewählt. Julienne hielt ihm sein Wort
und ihre Bedingung, daß er abends weiter zie¬
hen müsse, ans Herz als eine kleine Kühlung
gegen das Freudenfeuer darin; traurig sah' er
zur freundlichen hellen Morgensonne auf, als
steige sie nicht höher sondern schon tiefer.

Sie giengen nun in schönem Irren durch
die Insel, überall blühte neben der Gegen¬
wart eine stille Vergangenheit, unter der Rose
ein Vergißmeinnicht. Hier in dieser Grotte vor
den aufhüpfenden Wellen hatt' er einst mit sei¬
ner Schwester Severina gespielt und auf die¬
sem Eiland wurde ihm ihr Tod verkündigt;

ter rechter Liebe wieder?“ ſo ſprach er fort in
beredter Trunkenheit, aus dem langen träu¬
menden Warten geſchöpft. Linda ſah mit heim¬
licher Engels-Luſt, mit lieblichem Wiederſchein
in die hoch ſpielenden Flammen ſeiner Liebe;
und die Schweſter genoß in ſüßer Regung die
ſchöne Milde auf beider Angeſicht, welche an
der Kraft ſo bezaubert wie Mondlicht an einem
Gebürg'. Reiſebeſchreibungen wurden von bei¬
den Seiten angefangen, aber keine geendigt;
Tags- und Inſel-Ordnungen vorgelegt, aber
keine gewählt. Julienne hielt ihm ſein Wort
und ihre Bedingung, daß er abends weiter zie¬
hen müſſe, ans Herz als eine kleine Kühlung
gegen das Freudenfeuer darin; traurig ſah' er
zur freundlichen hellen Morgenſonne auf, als
ſteige ſie nicht höher ſondern ſchon tiefer.

Sie giengen nun in ſchönem Irren durch
die Inſel, überall blühte neben der Gegen¬
wart eine ſtille Vergangenheit, unter der Roſe
ein Vergißmeinnicht. Hier in dieſer Grotte vor
den aufhüpfenden Wellen hatt' er einſt mit ſei¬
ner Schweſter Severina geſpielt und auf die¬
ſem Eiland wurde ihm ihr Tod verkündigt;

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[230/0242] ter rechter Liebe wieder?“ ſo ſprach er fort in beredter Trunkenheit, aus dem langen träu¬ menden Warten geſchöpft. Linda ſah mit heim¬ licher Engels-Luſt, mit lieblichem Wiederſchein in die hoch ſpielenden Flammen ſeiner Liebe; und die Schweſter genoß in ſüßer Regung die ſchöne Milde auf beider Angeſicht, welche an der Kraft ſo bezaubert wie Mondlicht an einem Gebürg'. Reiſebeſchreibungen wurden von bei¬ den Seiten angefangen, aber keine geendigt; Tags- und Inſel-Ordnungen vorgelegt, aber keine gewählt. Julienne hielt ihm ſein Wort und ihre Bedingung, daß er abends weiter zie¬ hen müſſe, ans Herz als eine kleine Kühlung gegen das Freudenfeuer darin; traurig ſah' er zur freundlichen hellen Morgenſonne auf, als ſteige ſie nicht höher ſondern ſchon tiefer. Sie giengen nun in ſchönem Irren durch die Inſel, überall blühte neben der Gegen¬ wart eine ſtille Vergangenheit, unter der Roſe ein Vergißmeinnicht. Hier in dieſer Grotte vor den aufhüpfenden Wellen hatt' er einſt mit ſei¬ ner Schweſter Severina geſpielt und auf die¬ ſem Eiland wurde ihm ihr Tod verkündigt;

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/242>, abgerufen am 02.05.2024.