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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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faßte und rief: "Nein, Du darfst nicht, bei
meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen -- bei
der heiligen Jungfrau -- bei dem Allmächti¬
gen! -- Du darfst, Du sollst nicht!" Einen
Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬
aufhaltsam entbrannt aufsteht und begieng' ihn
eine Göttinn aus Liebe und böte sie dafür
eine Welt von Paradiesen, es ist der Raub
seiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja,
daß es Liebe ist, aber despotische, zugleich Frei¬
heit übende und raubende, das erbittert ihn nur
noch mehr, und aus dem Nebel des Irrthums
wird später das Gewitter der Leidenschaft. --
Linda wiederholte: "Du darfst nicht." Er sah'
ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, dessen süd¬
liche Heftigkeit doch mehr einem Enthusiasmus
glich als einem Zorn und sagte fest: "O Lin¬
da, ich werde wohl dürfen und wollen!" --
"Nein, ich sage nein!" rief sie. --

"Bruder!" sieng die Schwester an. "O
Schwester, (rief er,) sprich sanft, ich bin ein
Mann und habe heftige Fehler." Ihn zog
der erhabene Krieg des Wassers mit der Erde
und mit Felsen, das Durcheinanderstürmen der

faßte und rief: „Nein, Du darfſt nicht, bei
meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen — bei
der heiligen Jungfrau — bei dem Allmächti¬
gen! — Du darfſt, Du ſollſt nicht!“ Einen
Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬
aufhaltſam entbrannt aufſteht und begieng' ihn
eine Göttinn aus Liebe und böte ſie dafür
eine Welt von Paradieſen, es iſt der Raub
ſeiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja,
daß es Liebe iſt, aber deſpotiſche, zugleich Frei¬
heit übende und raubende, das erbittert ihn nur
noch mehr, und aus dem Nebel des Irrthums
wird ſpäter das Gewitter der Leidenſchaft. —
Linda wiederholte: „Du darfſt nicht.“ Er ſah'
ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, deſſen ſüd¬
liche Heftigkeit doch mehr einem Enthuſiasmus
glich als einem Zorn und ſagte feſt: „O Lin¬
da, ich werde wohl dürfen und wollen!“ —
„Nein, ich ſage nein!“ rief ſie. —

„Bruder!“ ſieng die Schweſter an. „O
Schweſter, (rief er,) ſprich ſanft, ich bin ein
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[221/0233] faßte und rief: „Nein, Du darfſt nicht, bei meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen — bei der heiligen Jungfrau — bei dem Allmächti¬ gen! — Du darfſt, Du ſollſt nicht!“ Einen Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬ aufhaltſam entbrannt aufſteht und begieng' ihn eine Göttinn aus Liebe und böte ſie dafür eine Welt von Paradieſen, es iſt der Raub ſeiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja, daß es Liebe iſt, aber deſpotiſche, zugleich Frei¬ heit übende und raubende, das erbittert ihn nur noch mehr, und aus dem Nebel des Irrthums wird ſpäter das Gewitter der Leidenſchaft. — Linda wiederholte: „Du darfſt nicht.“ Er ſah' ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, deſſen ſüd¬ liche Heftigkeit doch mehr einem Enthuſiasmus glich als einem Zorn und ſagte feſt: „O Lin¬ da, ich werde wohl dürfen und wollen!“ — „Nein, ich ſage nein!“ rief ſie. — „Bruder!“ ſieng die Schweſter an. „O Schweſter, (rief er,) ſprich ſanft, ich bin ein Mann und habe heftige Fehler.“ Ihn zog der erhabene Krieg des Waſſers mit der Erde und mit Felſen, das Durcheinanderſtürmen der

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/233>, abgerufen am 02.05.2024.