So flogen die Tage mit ihren Städten und Landschaften vorüber und in Albano's Leben spiegelte sich wie in einem Gedichte die Welt. Eine Kraft nach der andern, die ganze ge¬ beugte Ernte seines Innern stand allmählig wieder auf und grünte tropfend; aber zu glei¬ cher Zeit erstarkte auch der Dorn des Schmer¬ zes. Während sein Auge und Geist sich mit der Welt und jeder Beute der Kenntniß er¬ füllte: so wohnte das böse Gespenst der Pein in der Ruine und drang hervor, wenn das Herz allein war und ergriff es.
Er berührte Wien, wo er sich gefallen las¬ sen mußte, einigen vornehmen Freunden Ga¬ spard's vorgestellt zu werden, der ihm erst hier entdeckte, daß er nicht zu den Cavalleros del Turone gehöre, sondern ein österreichischer Vlies¬ ritter sey. "Mir ist es hier, (sagte Albano,) so "sonderbar bekannt, woher kommt das?" -- "Von irgend einer ähnlichen Stadt, (sagte Ga¬ spard,) wer viel reiset, kommt aus ähnlichen Städten in ähnliche." Täglich wurd' ihm der Vater lieber und verständlicher; und doch nicht
102. Zykel.
So flogen die Tage mit ihren Städten und Landſchaften vorüber und in Albano's Leben ſpiegelte ſich wie in einem Gedichte die Welt. Eine Kraft nach der andern, die ganze ge¬ beugte Ernte ſeines Innern ſtand allmählig wieder auf und grünte tropfend; aber zu glei¬ cher Zeit erſtarkte auch der Dorn des Schmer¬ zes. Während ſein Auge und Geiſt ſich mit der Welt und jeder Beute der Kenntniß er¬ füllte: ſo wohnte das böſe Geſpenſt der Pein in der Ruine und drang hervor, wenn das Herz allein war und ergriff es.
Er berührte Wien, wo er ſich gefallen las¬ ſen mußte, einigen vornehmen Freunden Ga¬ ſpard's vorgeſtellt zu werden, der ihm erſt hier entdeckte, daß er nicht zu den Cavalleros del Turone gehöre, ſondern ein öſterreichiſcher Vlies¬ ritter ſey. „Mir iſt es hier, (ſagte Albano,) ſo „ſonderbar bekannt, woher kommt das?“ — „Von irgend einer ähnlichen Stadt, (ſagte Ga¬ ſpard,) wer viel reiſet, kommt aus ähnlichen Städten in ähnliche.“ Täglich wurd' ihm der Vater lieber und verſtändlicher; und doch nicht
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102. Zykel.
So flogen die Tage mit ihren Städten und
Landſchaften vorüber und in Albano's Leben
ſpiegelte ſich wie in einem Gedichte die Welt.
Eine Kraft nach der andern, die ganze ge¬
beugte Ernte ſeines Innern ſtand allmählig
wieder auf und grünte tropfend; aber zu glei¬
cher Zeit erſtarkte auch der Dorn des Schmer¬
zes. Während ſein Auge und Geiſt ſich mit
der Welt und jeder Beute der Kenntniß er¬
füllte: ſo wohnte das böſe Geſpenſt der Pein
in der Ruine und drang hervor, wenn das
Herz allein war und ergriff es.
Er berührte Wien, wo er ſich gefallen las¬
ſen mußte, einigen vornehmen Freunden Ga¬
ſpard's vorgeſtellt zu werden, der ihm erſt hier
entdeckte, daß er nicht zu den Cavalleros del
Turone gehöre, ſondern ein öſterreichiſcher Vlies¬
ritter ſey. „Mir iſt es hier, (ſagte Albano,) ſo
„ſonderbar bekannt, woher kommt das?“ —
„Von irgend einer ähnlichen Stadt, (ſagte Ga¬
ſpard,) wer viel reiſet, kommt aus ähnlichen
Städten in ähnliche.“ Täglich wurd' ihm der
Vater lieber und verſtändlicher; und doch nicht
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/23>, abgerufen am 09.11.2024.
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