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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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dem Himmel immer größer auf den süßen Er¬
denfrühling herein -- der Vesuv stand jetzt
ohne Flamme und ohne Donner, weiß von
Sand oder Schnee, in Morgen -- im dunk¬
lern Blau waren die Goldkörner der feurigen
Sterne weit auseinander gesäet. -- --

Es war die seltene Zeit, wo das Leben den
Durchgang durch eine überirdische Sonne hat.
Albano und Linda begegneten sich mit heiligen
Augen und die Blicke löseten sich wieder sanft
auseinander; sie schaueten in die Welt und in
das Herz und sprachen nichts aus. Linda kehrte
sich sanft um und gierig still weiter.

Da rief auf einmal eines der nachgehenden
geschwätzigen Mädchen aus: "es kommt wahr¬
lich ein Erdbeben, ich fühl' es recht, gute
Nacht!" -- Es war Agata. "Gott geb' ei¬
nes," sagte Albano. "O warum?" sagte Lin¬
da eifrig aber leise. -- "Alles was die unend¬
liche Mutter will und giebt, ist mir heute kind¬
lich-lieb, sogar der Tod -- gehören wir nicht
mit zu ihrer Unsterblichkeit?" sagt' er. -- "Ja,
das darf in der Freude der Mensch fühlen und

dem Himmel immer größer auf den ſüßen Er¬
denfrühling herein — der Veſuv ſtand jetzt
ohne Flamme und ohne Donner, weiß von
Sand oder Schnee, in Morgen — im dunk¬
lern Blau waren die Goldkörner der feurigen
Sterne weit auseinander geſäet. — —

Es war die ſeltene Zeit, wo das Leben den
Durchgang durch eine überirdiſche Sonne hat.
Albano und Linda begegneten ſich mit heiligen
Augen und die Blicke löſeten ſich wieder ſanft
auseinander; ſie ſchaueten in die Welt und in
das Herz und ſprachen nichts aus. Linda kehrte
ſich ſanft um und gierig ſtill weiter.

Da rief auf einmal eines der nachgehenden
geſchwätzigen Mädchen aus: „es kommt wahr¬
lich ein Erdbeben, ich fühl' es recht, gute
Nacht!“ — Es war Agata. „Gott geb' ei¬
nes,“ ſagte Albano. „O warum?“ ſagte Lin¬
da eifrig aber leiſe. — „Alles was die unend¬
liche Mutter will und giebt, iſt mir heute kind¬
lich-lieb, ſogar der Tod — gehören wir nicht
mit zu ihrer Unſterblichkeit?“ ſagt' er. — „Ja,
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[137/0149] dem Himmel immer größer auf den ſüßen Er¬ denfrühling herein — der Veſuv ſtand jetzt ohne Flamme und ohne Donner, weiß von Sand oder Schnee, in Morgen — im dunk¬ lern Blau waren die Goldkörner der feurigen Sterne weit auseinander geſäet. — — Es war die ſeltene Zeit, wo das Leben den Durchgang durch eine überirdiſche Sonne hat. Albano und Linda begegneten ſich mit heiligen Augen und die Blicke löſeten ſich wieder ſanft auseinander; ſie ſchaueten in die Welt und in das Herz und ſprachen nichts aus. Linda kehrte ſich ſanft um und gierig ſtill weiter. Da rief auf einmal eines der nachgehenden geſchwätzigen Mädchen aus: „es kommt wahr¬ lich ein Erdbeben, ich fühl' es recht, gute Nacht!“ — Es war Agata. „Gott geb' ei¬ nes,“ ſagte Albano. „O warum?“ ſagte Lin¬ da eifrig aber leiſe. — „Alles was die unend¬ liche Mutter will und giebt, iſt mir heute kind¬ lich-lieb, ſogar der Tod — gehören wir nicht mit zu ihrer Unſterblichkeit?“ ſagt' er. — „Ja, das darf in der Freude der Menſch fühlen und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/149>, abgerufen am 02.05.2024.