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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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ner Insel zur andern -- der letzte Goldstaub
auf den Höhen wurde verweht -- und die Ge¬
betglocken der Klöster führten das Herz über
die Sterne hinauf. --

O wie war meines so froh und so sehnend,
zugleich ein Wunsch und ein Feuer, und in
meinem Innersten sprach ein Dankgebet fort,
dafür, daß ich war und bin auf dieser Erde.

Nie vergess' ich das! Wenn wir das Leben
wegwerfen als zu klein gegen unsere Wünsche:
gehören nicht diese zu jenem und kamen von
ihm? Wenn die bekränzte Erde solche Blüthen-
Ufer, solche Sonnen-Gebürge um uns zieht,
will sie damit Unglückliche einschließen? War¬
um ist unser Herz enger als unser Auge, war¬
um erdrückt uns eine kaum meilenlange Wolke,
die doch selber unter unermeßlichen Sternen
steht? Ist nicht jeder Morgen ein Frühlings¬
anfang und jede Hoffnung? Was sind die dich¬
testen Lebensschranken anders als ein Rebenge¬
länder, zum Reifen der Weingluth aufgebauet?
-- Und da das Leben sich immer in Viertel
zerhackt, warum sollen es lauter letzte seyn,
nicht eben so oft erste, auf welche ein voll¬

ner Inſel zur andern — der letzte Goldſtaub
auf den Höhen wurde verweht — und die Ge¬
betglocken der Klöſter führten das Herz über
die Sterne hinauf. —

O wie war meines ſo froh und ſo ſehnend,
zugleich ein Wunſch und ein Feuer, und in
meinem Innerſten ſprach ein Dankgebet fort,
dafür, daß ich war und bin auf dieſer Erde.

Nie vergeſſ' ich das! Wenn wir das Leben
wegwerfen als zu klein gegen unſere Wünſche:
gehören nicht dieſe zu jenem und kamen von
ihm? Wenn die bekränzte Erde ſolche Blüthen-
Ufer, ſolche Sonnen-Gebürge um uns zieht,
will ſie damit Unglückliche einſchließen? War¬
um iſt unſer Herz enger als unſer Auge, war¬
um erdrückt uns eine kaum meilenlange Wolke,
die doch ſelber unter unermeßlichen Sternen
ſteht? Iſt nicht jeder Morgen ein Frühlings¬
anfang und jede Hoffnung? Was ſind die dich¬
teſten Lebensſchranken anders als ein Rebenge¬
länder, zum Reifen der Weingluth aufgebauet?
— Und da das Leben ſich immer in Viertel
zerhackt, warum ſollen es lauter letzte ſeyn,
nicht eben ſo oft erſte, auf welche ein voll¬

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[106/0118] ner Inſel zur andern — der letzte Goldſtaub auf den Höhen wurde verweht — und die Ge¬ betglocken der Klöſter führten das Herz über die Sterne hinauf. — O wie war meines ſo froh und ſo ſehnend, zugleich ein Wunſch und ein Feuer, und in meinem Innerſten ſprach ein Dankgebet fort, dafür, daß ich war und bin auf dieſer Erde. Nie vergeſſ' ich das! Wenn wir das Leben wegwerfen als zu klein gegen unſere Wünſche: gehören nicht dieſe zu jenem und kamen von ihm? Wenn die bekränzte Erde ſolche Blüthen- Ufer, ſolche Sonnen-Gebürge um uns zieht, will ſie damit Unglückliche einſchließen? War¬ um iſt unſer Herz enger als unſer Auge, war¬ um erdrückt uns eine kaum meilenlange Wolke, die doch ſelber unter unermeßlichen Sternen ſteht? Iſt nicht jeder Morgen ein Frühlings¬ anfang und jede Hoffnung? Was ſind die dich¬ teſten Lebensſchranken anders als ein Rebenge¬ länder, zum Reifen der Weingluth aufgebauet? — Und da das Leben ſich immer in Viertel zerhackt, warum ſollen es lauter letzte ſeyn, nicht eben ſo oft erſte, auf welche ein voll¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/118>, abgerufen am 01.05.2024.