Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Meer heruntergiesset und in der weißen Blüthe
über meinem Haupt. O rufet denn nicht diese
Sonne von brennenden Wellen umflattert, und
das Blau droben und drüben und die erglü¬
henden Menschen-Länder, die Welten in der
Welt, rufet nicht diese Ferne das Herz und alle
seine stolzen Wünsche heraus. Will es nicht
schaffen und in die Ferne greifen und seine Le¬
bensblüthe vom höchsten Gipfel des Himmels
reissen? Wenn es aber sich umsieht auf seinen
Boden, auch da wieder ist der Gürtel der Ve¬
nus um den blühenden Umkreis geworfen, hell
grünt der hohe Myrtenbaum neben seiner klei¬
nen dunkeln Myrte, die Orange schimmert im
hohen kalten Grase und oben duftet ihre Blü¬
the, der Waizen weht mit breiten Blättern
zwischen dem Mandel- und Narzissen-Schmel¬
ze und ferne ist die Zypresse und die Palme
stolz; alles ist Blume und Frucht, Frühling
und Herbst. Soll ich hin, soll ich her, das
fragt das Herz in seinem Glück.

So gieng mir die Sonne unter die Wellen
hinab -- die rothen Küsten flohen unter ihre Nebel
-- die Welt erlosch von Land zu Land, von ei¬

Meer heruntergieſſet und in der weißen Blüthe
über meinem Haupt. O rufet denn nicht dieſe
Sonne von brennenden Wellen umflattert, und
das Blau droben und drüben und die erglü¬
henden Menſchen-Länder, die Welten in der
Welt, rufet nicht dieſe Ferne das Herz und alle
ſeine ſtolzen Wünſche heraus. Will es nicht
ſchaffen und in die Ferne greifen und ſeine Le¬
bensblüthe vom höchſten Gipfel des Himmels
reiſſen? Wenn es aber ſich umſieht auf ſeinen
Boden, auch da wieder iſt der Gürtel der Ve¬
nus um den blühenden Umkreis geworfen, hell
grünt der hohe Myrtenbaum neben ſeiner klei¬
nen dunkeln Myrte, die Orange ſchimmert im
hohen kalten Graſe und oben duftet ihre Blü¬
the, der Waizen weht mit breiten Blättern
zwiſchen dem Mandel- und Narziſſen-Schmel¬
ze und ferne iſt die Zypreſſe und die Palme
ſtolz; alles iſt Blume und Frucht, Frühling
und Herbſt. Soll ich hin, ſoll ich her, das
fragt das Herz in ſeinem Glück.

So gieng mir die Sonne unter die Wellen
hinab — die rothen Küſten flohen unter ihre Nebel
— die Welt erloſch von Land zu Land, von ei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="105"/>
Meer heruntergie&#x017F;&#x017F;et und in der weißen Blüthe<lb/>
über meinem Haupt. O rufet denn nicht die&#x017F;e<lb/>
Sonne von brennenden Wellen umflattert, und<lb/>
das Blau droben und drüben und die erglü¬<lb/>
henden Men&#x017F;chen-Länder, die Welten in der<lb/>
Welt, rufet nicht die&#x017F;e Ferne das Herz und alle<lb/>
&#x017F;eine &#x017F;tolzen Wün&#x017F;che heraus. Will es nicht<lb/>
&#x017F;chaffen und in die Ferne greifen und &#x017F;eine Le¬<lb/>
bensblüthe vom höch&#x017F;ten Gipfel des Himmels<lb/>
rei&#x017F;&#x017F;en? Wenn es aber &#x017F;ich um&#x017F;ieht auf &#x017F;einen<lb/>
Boden, auch da wieder i&#x017F;t der Gürtel der Ve¬<lb/>
nus um den blühenden Umkreis geworfen, hell<lb/>
grünt der hohe Myrtenbaum neben &#x017F;einer klei¬<lb/>
nen dunkeln Myrte, die Orange &#x017F;chimmert im<lb/>
hohen kalten Gra&#x017F;e und oben duftet ihre Blü¬<lb/>
the, der Waizen weht mit breiten Blättern<lb/>
zwi&#x017F;chen dem Mandel- und Narzi&#x017F;&#x017F;en-Schmel¬<lb/>
ze und ferne i&#x017F;t die Zypre&#x017F;&#x017F;e und die Palme<lb/>
&#x017F;tolz; alles i&#x017F;t Blume und Frucht, Frühling<lb/>
und Herb&#x017F;t. Soll ich hin, &#x017F;oll ich her, das<lb/>
fragt das Herz in &#x017F;einem Glück.</p><lb/>
          <p>So gieng mir die Sonne unter die Wellen<lb/>
hinab &#x2014; die rothen Kü&#x017F;ten flohen unter ihre Nebel<lb/>
&#x2014; die Welt erlo&#x017F;ch von Land zu Land, von ei¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0117] Meer heruntergieſſet und in der weißen Blüthe über meinem Haupt. O rufet denn nicht dieſe Sonne von brennenden Wellen umflattert, und das Blau droben und drüben und die erglü¬ henden Menſchen-Länder, die Welten in der Welt, rufet nicht dieſe Ferne das Herz und alle ſeine ſtolzen Wünſche heraus. Will es nicht ſchaffen und in die Ferne greifen und ſeine Le¬ bensblüthe vom höchſten Gipfel des Himmels reiſſen? Wenn es aber ſich umſieht auf ſeinen Boden, auch da wieder iſt der Gürtel der Ve¬ nus um den blühenden Umkreis geworfen, hell grünt der hohe Myrtenbaum neben ſeiner klei¬ nen dunkeln Myrte, die Orange ſchimmert im hohen kalten Graſe und oben duftet ihre Blü¬ the, der Waizen weht mit breiten Blättern zwiſchen dem Mandel- und Narziſſen-Schmel¬ ze und ferne iſt die Zypreſſe und die Palme ſtolz; alles iſt Blume und Frucht, Frühling und Herbſt. Soll ich hin, ſoll ich her, das fragt das Herz in ſeinem Glück. So gieng mir die Sonne unter die Wellen hinab — die rothen Küſten flohen unter ihre Nebel — die Welt erloſch von Land zu Land, von ei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/117
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/117>, abgerufen am 02.05.2024.