lingsblumen bis zum hellen Kapitol empor, und die Horen-Glocken tönten herauf -- die Freudenfeuer des Tags loderten auf allen Hö¬ hen -- das Leben wurde weit und hoch wie die Aussicht -- sein Auge stand unter der Thräne, aber keiner trüben, sondern unter jener, wo es wie das Weltauge unter dem Wasser sonnig glänzt und höhere Farben hat, welche die trockne Welt verzehrt. -- Er drückte ihre Hand, sie seine. -- "Fürstinn, Freundinn, (sagt' er) wie acht' ich Sie! -- Nach dieser heiligen Stunde trennen wir uns -- ich möchte ihr ein unver¬ gängliches Zeichen geben und meinem Vater ein kühnes Wort sagen, das mich und meine Achtung ausspräche und das wol manche Räth¬ sel lösete."
Sie schlug das Auge nieder und sagte bloß: "dürfen Sie wagen?" -- "O verbieten Sie es nicht! (sagte er.) So manches Götterglück gieng durch eine zaghafte Stunde verloren. Wenn soll denn der Mensch ungewöhnlich handeln als in ungewöhnlichen Lagen?" Sie schwieg, den Morgenlaut seiner Liebe erwar¬ tend und beide giengen im fortgesetzten Hand¬
lingsblumen bis zum hellen Kapitol empor, und die Horen-Glocken tönten herauf — die Freudenfeuer des Tags loderten auf allen Hö¬ hen — das Leben wurde weit und hoch wie die Ausſicht — ſein Auge ſtand unter der Thräne, aber keiner trüben, ſondern unter jener, wo es wie das Weltauge unter dem Waſſer ſonnig glänzt und höhere Farben hat, welche die trockne Welt verzehrt. — Er drückte ihre Hand, ſie ſeine. — „Fürſtinn, Freundinn, (ſagt' er) wie acht' ich Sie! — Nach dieſer heiligen Stunde trennen wir uns — ich möchte ihr ein unver¬ gängliches Zeichen geben und meinem Vater ein kühnes Wort ſagen, das mich und meine Achtung ausſpräche und das wol manche Räth¬ ſel löſete.“
Sie ſchlug das Auge nieder und ſagte bloß: „dürfen Sie wagen?“ — „O verbieten Sie es nicht! (ſagte er.) So manches Götterglück gieng durch eine zaghafte Stunde verloren. Wenn ſoll denn der Menſch ungewöhnlich handeln als in ungewöhnlichen Lagen?“ Sie ſchwieg, den Morgenlaut ſeiner Liebe erwar¬ tend und beide giengen im fortgeſetzten Hand¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="88"/>
lingsblumen bis zum hellen Kapitol empor,<lb/>
und die Horen-Glocken tönten herauf — die<lb/>
Freudenfeuer des Tags loderten auf allen Hö¬<lb/>
hen — das Leben wurde weit und hoch wie<lb/>
die Ausſicht —ſein Auge ſtand unter der Thräne,<lb/>
aber keiner trüben, ſondern unter jener, wo<lb/>
es wie das Weltauge unter dem Waſſer ſonnig<lb/>
glänzt und höhere Farben hat, welche die trockne<lb/>
Welt verzehrt. — Er drückte ihre Hand, ſie<lb/>ſeine. —„Fürſtinn, Freundinn, (ſagt' er) wie<lb/>
acht' ich Sie! — Nach dieſer heiligen Stunde<lb/>
trennen wir uns — ich möchte ihr ein unver¬<lb/>
gängliches Zeichen geben und meinem Vater<lb/>
ein kühnes Wort ſagen, das mich und meine<lb/>
Achtung ausſpräche und das wol manche Räth¬<lb/>ſel löſete.“</p><lb/><p>Sie ſchlug das Auge nieder und ſagte bloß:<lb/>„dürfen Sie wagen?“—„O verbieten Sie<lb/>
es nicht! (ſagte er.) So manches Götterglück<lb/>
gieng durch eine zaghafte Stunde verloren.<lb/>
Wenn ſoll denn der Menſch ungewöhnlich<lb/>
handeln als in ungewöhnlichen Lagen?“ Sie<lb/>ſchwieg, den Morgenlaut ſeiner Liebe erwar¬<lb/>
tend und beide giengen im fortgeſetzten Hand¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[88/0100]
lingsblumen bis zum hellen Kapitol empor,
und die Horen-Glocken tönten herauf — die
Freudenfeuer des Tags loderten auf allen Hö¬
hen — das Leben wurde weit und hoch wie
die Ausſicht — ſein Auge ſtand unter der Thräne,
aber keiner trüben, ſondern unter jener, wo
es wie das Weltauge unter dem Waſſer ſonnig
glänzt und höhere Farben hat, welche die trockne
Welt verzehrt. — Er drückte ihre Hand, ſie
ſeine. — „Fürſtinn, Freundinn, (ſagt' er) wie
acht' ich Sie! — Nach dieſer heiligen Stunde
trennen wir uns — ich möchte ihr ein unver¬
gängliches Zeichen geben und meinem Vater
ein kühnes Wort ſagen, das mich und meine
Achtung ausſpräche und das wol manche Räth¬
ſel löſete.“
Sie ſchlug das Auge nieder und ſagte bloß:
„dürfen Sie wagen?“ — „O verbieten Sie
es nicht! (ſagte er.) So manches Götterglück
gieng durch eine zaghafte Stunde verloren.
Wenn ſoll denn der Menſch ungewöhnlich
handeln als in ungewöhnlichen Lagen?“ Sie
ſchwieg, den Morgenlaut ſeiner Liebe erwar¬
tend und beide giengen im fortgeſetzten Hand¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/100>, abgerufen am 08.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.