Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

Freund, der fromme Spener, der ein trunknes
Auge auf diese lebendigen Arabesken an Got¬
tes Throne heftete, hatte sie mit diesen stum¬
men immer schlafenden Kindern des Unendlichen
befreundet; aber noch mehr ihr jungfräuliches
Herz und ihr leidendes. Sind euch nie zarte
weibliche Seelen begegnet, in deren Blüthezeit
das Schicksal kalte Wolken geworfen und die
nun gleich Rousseau andere Blumen als die
der Freude suchten, und die in Thälern und
auf Felsen sich ermüdeten und bückten, um zu
sammeln und zu vergessen und von der ge¬
storbnen Pomona zu flüchten zur jungen
Flora? -- Der Generalbas und das Latein,
womit Hermes Mädchen zerstreuen will, wei¬
chen hier der weiten bunten Bilderschrift der
Natur, der reichen Botanik.

Eine namenlose Zärtlichkeit für Liane kam
in Albano's Seele am kleinen viersitzigen E߬
tisch -- ihm war als sey er ihr jetzt näher und
ihr Verwandter -- und doch faßte er die Ver¬
wandte nicht, wenn sie die Mutter aus jedem
Ernst, worein diese versank, mit Scherzen zu¬
rück lockte. -- Draussen riefen die Nachtigallen

Freund, der fromme Spener, der ein trunknes
Auge auf dieſe lebendigen Arabesken an Got¬
tes Throne heftete, hatte ſie mit dieſen ſtum¬
men immer ſchlafenden Kindern des Unendlichen
befreundet; aber noch mehr ihr jungfräuliches
Herz und ihr leidendes. Sind euch nie zarte
weibliche Seelen begegnet, in deren Blüthezeit
das Schickſal kalte Wolken geworfen und die
nun gleich Rouſſeau andere Blumen als die
der Freude ſuchten, und die in Thälern und
auf Felſen ſich ermüdeten und bückten, um zu
ſammeln und zu vergeſſen und von der ge¬
ſtorbnen Pomona zu flüchten zur jungen
Flora? — Der Generalbas und das Latein,
womit Hermes Mädchen zerſtreuen will, wei¬
chen hier der weiten bunten Bilderſchrift der
Natur, der reichen Botanik.

Eine namenloſe Zärtlichkeit für Liane kam
in Albano's Seele am kleinen vierſitzigen E߬
tiſch — ihm war als ſey er ihr jetzt näher und
ihr Verwandter — und doch faßte er die Ver¬
wandte nicht, wenn ſie die Mutter aus jedem
Ernſt, worein dieſe verſank, mit Scherzen zu¬
rück lockte. — Drauſſen riefen die Nachtigallen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="54"/>
Freund, der fromme Spener, der ein trunknes<lb/>
Auge auf die&#x017F;e lebendigen Arabesken an Got¬<lb/>
tes Throne heftete, hatte &#x017F;ie mit die&#x017F;en &#x017F;tum¬<lb/>
men immer &#x017F;chlafenden Kindern des Unendlichen<lb/>
befreundet; aber noch mehr ihr jungfräuliches<lb/>
Herz und ihr leidendes. Sind euch nie zarte<lb/>
weibliche Seelen begegnet, in deren Blüthezeit<lb/>
das Schick&#x017F;al kalte Wolken geworfen und die<lb/>
nun gleich Rou&#x017F;&#x017F;eau andere Blumen als die<lb/>
der Freude &#x017F;uchten, und die in Thälern und<lb/>
auf Fel&#x017F;en &#x017F;ich ermüdeten und bückten, um zu<lb/>
&#x017F;ammeln und zu verge&#x017F;&#x017F;en und von der ge¬<lb/>
&#x017F;torbnen <hi rendition="#g">Pomona</hi> zu flüchten zur jungen<lb/><hi rendition="#g">Flora</hi>? &#x2014; Der Generalbas und das Latein,<lb/>
womit <hi rendition="#g">Hermes</hi> Mädchen zer&#x017F;treuen will, wei¬<lb/>
chen hier der weiten bunten Bilder&#x017F;chrift der<lb/>
Natur, der reichen Botanik.</p><lb/>
          <p>Eine namenlo&#x017F;e Zärtlichkeit für Liane kam<lb/>
in Albano's Seele am kleinen vier&#x017F;itzigen E߬<lb/>
ti&#x017F;ch &#x2014; ihm war als &#x017F;ey er ihr jetzt näher und<lb/>
ihr Verwandter &#x2014; und doch faßte er die Ver¬<lb/>
wandte nicht, wenn &#x017F;ie die Mutter aus jedem<lb/>
Ern&#x017F;t, worein die&#x017F;e ver&#x017F;ank, mit Scherzen zu¬<lb/>
rück lockte. &#x2014; Drau&#x017F;&#x017F;en riefen die Nachtigallen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0062] Freund, der fromme Spener, der ein trunknes Auge auf dieſe lebendigen Arabesken an Got¬ tes Throne heftete, hatte ſie mit dieſen ſtum¬ men immer ſchlafenden Kindern des Unendlichen befreundet; aber noch mehr ihr jungfräuliches Herz und ihr leidendes. Sind euch nie zarte weibliche Seelen begegnet, in deren Blüthezeit das Schickſal kalte Wolken geworfen und die nun gleich Rouſſeau andere Blumen als die der Freude ſuchten, und die in Thälern und auf Felſen ſich ermüdeten und bückten, um zu ſammeln und zu vergeſſen und von der ge¬ ſtorbnen Pomona zu flüchten zur jungen Flora? — Der Generalbas und das Latein, womit Hermes Mädchen zerſtreuen will, wei¬ chen hier der weiten bunten Bilderſchrift der Natur, der reichen Botanik. Eine namenloſe Zärtlichkeit für Liane kam in Albano's Seele am kleinen vierſitzigen E߬ tiſch — ihm war als ſey er ihr jetzt näher und ihr Verwandter — und doch faßte er die Ver¬ wandte nicht, wenn ſie die Mutter aus jedem Ernſt, worein dieſe verſank, mit Scherzen zu¬ rück lockte. — Drauſſen riefen die Nachtigallen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/62
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/62>, abgerufen am 02.05.2024.