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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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kleinen Satyr aus, gegen den sich eine einge¬
holte Nymphe wehrt. "Göttlich (sagte Bouve¬
"rot und hielt die Gruppe an einem Faden,
"um den Rost nicht abzugreifen) göttlich! Ich
"setze den Satyr an den Christus!" Wenige
haben vom Erstaunen meines Helden nur ei¬
nen mäßigen Begriff, als dieser auf ein¬
mal den Kritikus Tugend und Laster an einen
runden Tisch ohne Rangstreitigkeit setzen sah.

Mit einem Feuerblick der Verachtung
wandt' er sich ab und wunderte sich, daß der
Lektor blieb. Ihm scheint unbekannt zu seyn,
daß die Malerei wie die Dichtkunst sich nur in
ihrer Kindheit auf Götter und Gottesdienst
bezogen, daß sie aber später als sie höher her¬
an wuchsen, aus diesem engen Kirchhof heraus¬
schreiten musten wie eine Kapelle ursprünglich
eine Kirche mit Kirchenmusik war, bis man bei¬
des weg ließ und die reine Musik behielt.
Bouverot hatte die Achtung für reine Form in
so hohem Grade, daß ihn nicht nur der schmu¬
zigste unsittlichste Stoff, sondern sogar auch der
frömmste, andächtigste nicht den Genuß verun¬
reinigte; gleich dem Schiefer bestand er die

kleinen Satyr aus, gegen den ſich eine einge¬
holte Nymphe wehrt. „Göttlich (ſagte Bouve¬
„rot und hielt die Gruppe an einem Faden,
„um den Roſt nicht abzugreifen) göttlich! Ich
„ſetze den Satyr an den Chriſtus!“ Wenige
haben vom Erſtaunen meines Helden nur ei¬
nen mäßigen Begriff, als dieſer auf ein¬
mal den Kritikus Tugend und Laſter an einen
runden Tiſch ohne Rangſtreitigkeit ſetzen ſah.

Mit einem Feuerblick der Verachtung
wandt' er ſich ab und wunderte ſich, daß der
Lektor blieb. Ihm ſcheint unbekannt zu ſeyn,
daß die Malerei wie die Dichtkunſt ſich nur in
ihrer Kindheit auf Götter und Gottesdienſt
bezogen, daß ſie aber ſpäter als ſie höher her¬
an wuchſen, aus dieſem engen Kirchhof heraus¬
ſchreiten muſten wie eine Kapelle urſprünglich
eine Kirche mit Kirchenmuſik war, bis man bei¬
des weg ließ und die reine Muſik behielt.
Bouverot hatte die Achtung für reine Form in
ſo hohem Grade, daß ihn nicht nur der ſchmu¬
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[142/0150] kleinen Satyr aus, gegen den ſich eine einge¬ holte Nymphe wehrt. „Göttlich (ſagte Bouve¬ „rot und hielt die Gruppe an einem Faden, „um den Roſt nicht abzugreifen) göttlich! Ich „ſetze den Satyr an den Chriſtus!“ Wenige haben vom Erſtaunen meines Helden nur ei¬ nen mäßigen Begriff, als dieſer auf ein¬ mal den Kritikus Tugend und Laſter an einen runden Tiſch ohne Rangſtreitigkeit ſetzen ſah. Mit einem Feuerblick der Verachtung wandt' er ſich ab und wunderte ſich, daß der Lektor blieb. Ihm ſcheint unbekannt zu ſeyn, daß die Malerei wie die Dichtkunſt ſich nur in ihrer Kindheit auf Götter und Gottesdienſt bezogen, daß ſie aber ſpäter als ſie höher her¬ an wuchſen, aus dieſem engen Kirchhof heraus¬ ſchreiten muſten wie eine Kapelle urſprünglich eine Kirche mit Kirchenmuſik war, bis man bei¬ des weg ließ und die reine Muſik behielt. Bouverot hatte die Achtung für reine Form in ſo hohem Grade, daß ihn nicht nur der ſchmu¬ zigſte unſittlichſte Stoff, ſondern ſogar auch der frömmſte, andächtigſte nicht den Genuß verun¬ reinigte; gleich dem Schiefer beſtand er die

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/150>, abgerufen am 06.05.2024.