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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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wohlbekannten Blumenstücken und Blechbändern
gleichsam die alten Drucke (Inkunabeln) der
ersten Lebenstage vor; und heute erquickte ihn
jede Spur der alten Liebes-Zeit. Sie ließ ihn
seine Fenster suchen, aus deren einem der Bi¬
bliothekar einen soliden Blick auf einen Gassen¬
stein heftete, um ihn immer zu treffen mit
Anspucken.

Hier einsam neben dem Bruder sagte
Liane der Schwester das Wort der Freund¬
schaft lauter und versicherte, wie sie sie erfreuen
wolle und wie gut und wahr sie es mit ihr
meine. O sehet in die Flamme der reinen reli¬
giösen schwesterlichen Liebe mit keinem gelben
Auge des Argwohns! Fasset ihr nicht, daß diese
schöne Seele eben jetzt ihre reichen Flammen
zertheile für alle Schwesterherzen, bis die Liebe
sie zusammendrängt in Eine Sonne, wie nach
den Alten die zerstreueten Blitze der Nacht am
Morgen sich zu Einer dichten Sonne sammlen?
-- Sie war überall Auge für jedes Herz; wie
eine Mutter vergaß sie nicht einmal die Kleine
über Große; und sie goß -- keiner streiche mir
dieses kleine Beispiel weg -- der kleinen Helena

G 2

wohlbekannten Blumenſtücken und Blechbändern
gleichſam die alten Drucke (Inkunabeln) der
erſten Lebenstage vor; und heute erquickte ihn
jede Spur der alten Liebes-Zeit. Sie ließ ihn
ſeine Fenſter ſuchen, aus deren einem der Bi¬
bliothekar einen ſoliden Blick auf einen Gaſſen¬
ſtein heftete, um ihn immer zu treffen mit
Anſpucken.

Hier einſam neben dem Bruder ſagte
Liane der Schweſter das Wort der Freund¬
ſchaft lauter und verſicherte, wie ſie ſie erfreuen
wolle und wie gut und wahr ſie es mit ihr
meine. O ſehet in die Flamme der reinen reli¬
giöſen ſchweſterlichen Liebe mit keinem gelben
Auge des Argwohns! Faſſet ihr nicht, daß dieſe
ſchöne Seele eben jetzt ihre reichen Flammen
zertheile für alle Schweſterherzen, bis die Liebe
ſie zuſammendrängt in Eine Sonne, wie nach
den Alten die zerſtreueten Blitze der Nacht am
Morgen ſich zu Einer dichten Sonne ſammlen?
— Sie war überall Auge für jedes Herz; wie
eine Mutter vergaß ſie nicht einmal die Kleine
über Große; und ſie goß — keiner ſtreiche mir
dieſes kleine Beiſpiel weg — der kleinen Helena

G 2
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[99/0107] wohlbekannten Blumenſtücken und Blechbändern gleichſam die alten Drucke (Inkunabeln) der erſten Lebenstage vor; und heute erquickte ihn jede Spur der alten Liebes-Zeit. Sie ließ ihn ſeine Fenſter ſuchen, aus deren einem der Bi¬ bliothekar einen ſoliden Blick auf einen Gaſſen¬ ſtein heftete, um ihn immer zu treffen mit Anſpucken. Hier einſam neben dem Bruder ſagte Liane der Schweſter das Wort der Freund¬ ſchaft lauter und verſicherte, wie ſie ſie erfreuen wolle und wie gut und wahr ſie es mit ihr meine. O ſehet in die Flamme der reinen reli¬ giöſen ſchweſterlichen Liebe mit keinem gelben Auge des Argwohns! Faſſet ihr nicht, daß dieſe ſchöne Seele eben jetzt ihre reichen Flammen zertheile für alle Schweſterherzen, bis die Liebe ſie zuſammendrängt in Eine Sonne, wie nach den Alten die zerſtreueten Blitze der Nacht am Morgen ſich zu Einer dichten Sonne ſammlen? — Sie war überall Auge für jedes Herz; wie eine Mutter vergaß ſie nicht einmal die Kleine über Große; und ſie goß — keiner ſtreiche mir dieſes kleine Beiſpiel weg — der kleinen Helena G 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/107>, abgerufen am 06.05.2024.