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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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Kelche gleich weit auf und sie erfreueten sich
lange über die Gemeinschaft desselben Genus¬
ses. Helena lief voraus und verschwand hin¬
ter einem niedrigen Gebüsche; sie erwartete
auf einer Kinderbank neben einem Kindertische
lächelnd die Erwachsenen. Der gute alte Fürst
hatte überall für Kinder niedrige Moosbänke,
kleine Gartenstühle, Tischchen und Scherben-
Orangerieen und dergleichen um die Ruheplätze
ihrer Eltern gestellt; denn er trug diese erquik¬
kenden offnen Blumen der Menschheit so nah'
an seinem Herzen! -- "Man wünscht so oft,
"(sagte Liane), in der patriarchalischen Zeit, oder
"in Arkadien und auf Otaheiti zu leben; die
"Kinder sind ja -- glauben Sie es nicht? --
"überall dieselben und man hat eben an ihnen
"das, was die fernste Zeit und die fernste Ge¬
"gend nur gewähren mag." -- Er glaubt' es
wohl und gern; aber er fragte sich immer, wie
wird aus dem todten Meere des Hofes eine
so unbefleckte Aphrodite geboren, wie aus
dem salzigen Seewasser reiner Thau und Re¬
gen steigt? -- Unter dem Sprechen zog sie zu¬
weilen ein ungemein holdes -- wie soll ich's

Kelche gleich weit auf und ſie erfreueten ſich
lange über die Gemeinſchaft deſſelben Genus¬
ſes. Helena lief voraus und verſchwand hin¬
ter einem niedrigen Gebüſche; ſie erwartete
auf einer Kinderbank neben einem Kindertiſche
lächelnd die Erwachſenen. Der gute alte Fürſt
hatte überall für Kinder niedrige Moosbänke,
kleine Gartenſtühle, Tiſchchen und Scherben-
Orangerieen und dergleichen um die Ruheplätze
ihrer Eltern geſtellt; denn er trug dieſe erquik¬
kenden offnen Blumen der Menſchheit ſo nah'
an ſeinem Herzen! — „Man wünſcht ſo oft,
„(ſagte Liane), in der patriarchaliſchen Zeit, oder
„in Arkadien und auf Otaheiti zu leben; die
„Kinder ſind ja — glauben Sie es nicht? —
„überall dieſelben und man hat eben an ihnen
„das, was die fernſte Zeit und die fernſte Ge¬
„gend nur gewähren mag.“ — Er glaubt' es
wohl und gern; aber er fragte ſich immer, wie
wird aus dem todten Meere des Hofes eine
ſo unbefleckte Aphrodite geboren, wie aus
dem ſalzigen Seewaſſer reiner Thau und Re¬
gen ſteigt? — Unter dem Sprechen zog ſie zu¬
weilen ein ungemein holdes — wie ſoll ich's

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[428/0448] Kelche gleich weit auf und ſie erfreueten ſich lange über die Gemeinſchaft deſſelben Genus¬ ſes. Helena lief voraus und verſchwand hin¬ ter einem niedrigen Gebüſche; ſie erwartete auf einer Kinderbank neben einem Kindertiſche lächelnd die Erwachſenen. Der gute alte Fürſt hatte überall für Kinder niedrige Moosbänke, kleine Gartenſtühle, Tiſchchen und Scherben- Orangerieen und dergleichen um die Ruheplätze ihrer Eltern geſtellt; denn er trug dieſe erquik¬ kenden offnen Blumen der Menſchheit ſo nah' an ſeinem Herzen! — „Man wünſcht ſo oft, „(ſagte Liane), in der patriarchaliſchen Zeit, oder „in Arkadien und auf Otaheiti zu leben; die „Kinder ſind ja — glauben Sie es nicht? — „überall dieſelben und man hat eben an ihnen „das, was die fernſte Zeit und die fernſte Ge¬ „gend nur gewähren mag.“ — Er glaubt' es wohl und gern; aber er fragte ſich immer, wie wird aus dem todten Meere des Hofes eine ſo unbefleckte Aphrodite geboren, wie aus dem ſalzigen Seewaſſer reiner Thau und Re¬ gen ſteigt? — Unter dem Sprechen zog ſie zu¬ weilen ein ungemein holdes — wie ſoll ich's

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/448>, abgerufen am 22.11.2024.