Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

noch leichter das weibliche Lächeln und dieses
ist ja noch öfter als jene, nur Schein!

Er suchte aus Sehnsucht des durstigen
Herzens das Händchen der Kleinen zu fassen,
allein sie hieng sich mit beiden auf Lianens
Linke; entlief aber gleich und holte drei Iris¬
blumen -- wie sie, den Schmetterlingen ähn¬
lich -- und theilte der Mutter eine zu und
Lianen mit den Worten zwei: gieb dem auch
eine! Und Liane reichte sie ihm freundlich-an¬
schauend mit jenem heiligen Mädchenblicke, der
hell und aufmerksam, aber nicht forschend, kind¬
lich-theilnehmend ohne Geben und Fordern ist.
Gleichwohl senkte sie diese heiligen Augen heute
mehrmals nieder; aber -- das zwang sie dazu
-- auf Zesaras felsigem, obwohl von der Liebe
erweichtem Gesichte ruhte ein physiognomisches
Recht des Stärkern, er schien eine scheue Seele
mit hundert Augen anzusehen und seine beiden
wahren loderten so warm, obwohl eben so rein,
wie das Sonnenauge im Äther.

Die Irisblumen haben das Sonderbare,
daß der eine sie riecht, der andre aber nicht;
nur diesen dreieinigen Menschen thaten sich die

noch leichter das weibliche Lächeln und dieſes
iſt ja noch öfter als jene, nur Schein!

Er ſuchte aus Sehnſucht des durſtigen
Herzens das Händchen der Kleinen zu faſſen,
allein ſie hieng ſich mit beiden auf Lianens
Linke; entlief aber gleich und holte drei Iris¬
blumen — wie ſie, den Schmetterlingen ähn¬
lich — und theilte der Mutter eine zu und
Lianen mit den Worten zwei: gieb dem auch
eine! Und Liane reichte ſie ihm freundlich-an¬
ſchauend mit jenem heiligen Mädchenblicke, der
hell und aufmerkſam, aber nicht forſchend, kind¬
lich-theilnehmend ohne Geben und Fordern iſt.
Gleichwohl ſenkte ſie dieſe heiligen Augen heute
mehrmals nieder; aber — das zwang ſie dazu
— auf Zeſaras felſigem, obwohl von der Liebe
erweichtem Geſichte ruhte ein phyſiognomiſches
Recht des Stärkern, er ſchien eine ſcheue Seele
mit hundert Augen anzuſehen und ſeine beiden
wahren loderten ſo warm, obwohl eben ſo rein,
wie das Sonnenauge im Äther.

Die Irisblumen haben das Sonderbare,
daß der eine ſie riecht, der andre aber nicht;
nur dieſen dreieinigen Menſchen thaten ſich die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0447" n="427"/>
noch leichter das weibliche Lächeln und die&#x017F;es<lb/>
i&#x017F;t ja noch öfter als jene, nur Schein!</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;uchte aus Sehn&#x017F;ucht des dur&#x017F;tigen<lb/>
Herzens das Händchen der Kleinen zu fa&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
allein &#x017F;ie hieng &#x017F;ich mit beiden auf Lianens<lb/>
Linke; entlief aber gleich und holte drei Iris¬<lb/>
blumen &#x2014; wie &#x017F;ie, den Schmetterlingen ähn¬<lb/>
lich &#x2014; und theilte der Mutter eine zu und<lb/>
Lianen mit den Worten zwei: gieb dem auch<lb/>
eine! Und Liane reichte &#x017F;ie ihm freundlich-an¬<lb/>
&#x017F;chauend mit jenem heiligen Mädchenblicke, der<lb/>
hell und aufmerk&#x017F;am, aber nicht for&#x017F;chend, kind¬<lb/>
lich-theilnehmend ohne Geben und Fordern i&#x017F;t.<lb/>
Gleichwohl &#x017F;enkte &#x017F;ie die&#x017F;e heiligen Augen heute<lb/>
mehrmals nieder; aber &#x2014; das zwang &#x017F;ie dazu<lb/>
&#x2014; auf Ze&#x017F;aras fel&#x017F;igem, obwohl von der Liebe<lb/>
erweichtem Ge&#x017F;ichte ruhte ein phy&#x017F;iognomi&#x017F;ches<lb/>
Recht des Stärkern, er &#x017F;chien eine &#x017F;cheue Seele<lb/>
mit hundert Augen anzu&#x017F;ehen und &#x017F;eine beiden<lb/>
wahren loderten &#x017F;o warm, obwohl eben &#x017F;o rein,<lb/>
wie das Sonnenauge im Äther.</p><lb/>
          <p>Die Irisblumen haben das Sonderbare,<lb/>
daß der eine &#x017F;ie riecht, der andre aber nicht;<lb/>
nur die&#x017F;en dreieinigen Men&#x017F;chen thaten &#x017F;ich die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0447] noch leichter das weibliche Lächeln und dieſes iſt ja noch öfter als jene, nur Schein! Er ſuchte aus Sehnſucht des durſtigen Herzens das Händchen der Kleinen zu faſſen, allein ſie hieng ſich mit beiden auf Lianens Linke; entlief aber gleich und holte drei Iris¬ blumen — wie ſie, den Schmetterlingen ähn¬ lich — und theilte der Mutter eine zu und Lianen mit den Worten zwei: gieb dem auch eine! Und Liane reichte ſie ihm freundlich-an¬ ſchauend mit jenem heiligen Mädchenblicke, der hell und aufmerkſam, aber nicht forſchend, kind¬ lich-theilnehmend ohne Geben und Fordern iſt. Gleichwohl ſenkte ſie dieſe heiligen Augen heute mehrmals nieder; aber — das zwang ſie dazu — auf Zeſaras felſigem, obwohl von der Liebe erweichtem Geſichte ruhte ein phyſiognomiſches Recht des Stärkern, er ſchien eine ſcheue Seele mit hundert Augen anzuſehen und ſeine beiden wahren loderten ſo warm, obwohl eben ſo rein, wie das Sonnenauge im Äther. Die Irisblumen haben das Sonderbare, daß der eine ſie riecht, der andre aber nicht; nur dieſen dreieinigen Menſchen thaten ſich die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/447
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/447>, abgerufen am 18.05.2024.