Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

hervor und press'te sie dann so tief durch deine
Brust bis ans Herz! --

In keiner Stunde seines Lebens war Al¬
bano's Liebe so heilig-zart als in dieser, oder
sein Mitleiden so innig. Zum Glück blickte die
Ministerinn immer durch das Fenster in den
Garten und nahm seine Rührung nicht wahr.
Zuletzt zeigte sie noch auf Lianens dastehende
Harmonika; nun ward ihm das Herz zu voll
und zu sichtbar, er sprang auf mit den hasti¬
gen Worten, er habe noch keine gehört und
trat davor. Ach er wollte etwas berühren,
worauf so oft ihre Finger gewesen. Er legte
die Hand wie an ein Heiligthum an diese
Betglocken, die so oft unter der ihrigen für
fromme Gedanken gezittert hatten; aber sie ga¬
ben ihm keine Antwort, bis ihm der Lektor, ein
Kenner des Abc's wie der Technologie aller
Künste, das Nöthigste in drei Worten gewie¬
sen. Jetzt sog er in die Seele voll Seufzer
und Kriege den ersten Dreiklang ein, die ersten
Klagesylben dieser Muttersprache der lechzen¬
den Brust -- ach dieser Stummenglocken,
die der innere Mensch in der Hand schüttelt,

hervor und preſſ'te ſie dann ſo tief durch deine
Bruſt bis ans Herz! —

In keiner Stunde ſeines Lebens war Al¬
bano's Liebe ſo heilig-zart als in dieſer, oder
ſein Mitleiden ſo innig. Zum Glück blickte die
Miniſterinn immer durch das Fenſter in den
Garten und nahm ſeine Rührung nicht wahr.
Zuletzt zeigte ſie noch auf Lianens daſtehende
Harmonika; nun ward ihm das Herz zu voll
und zu ſichtbar, er ſprang auf mit den haſti¬
gen Worten, er habe noch keine gehört und
trat davor. Ach er wollte etwas berühren,
worauf ſo oft ihre Finger geweſen. Er legte
die Hand wie an ein Heiligthum an dieſe
Betglocken, die ſo oft unter der ihrigen für
fromme Gedanken gezittert hatten; aber ſie ga¬
ben ihm keine Antwort, bis ihm der Lektor, ein
Kenner des Abc's wie der Technologie aller
Künſte, das Nöthigſte in drei Worten gewie¬
ſen. Jetzt ſog er in die Seele voll Seufzer
und Kriege den erſten Dreiklang ein, die erſten
Klageſylben dieſer Mutterſprache der lechzen¬
den Bruſt — ach dieſer Stummenglocken,
die der innere Menſch in der Hand ſchüttelt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0360" n="340"/>
hervor und pre&#x017F;&#x017F;'te &#x017F;ie dann &#x017F;o tief durch deine<lb/>
Bru&#x017F;t bis ans Herz! &#x2014;</p><lb/>
            <p>In keiner Stunde &#x017F;eines Lebens war Al¬<lb/>
bano's Liebe &#x017F;o heilig-zart als in die&#x017F;er, oder<lb/>
&#x017F;ein Mitleiden &#x017F;o innig. Zum Glück blickte die<lb/>
Mini&#x017F;terinn immer durch das Fen&#x017F;ter in den<lb/>
Garten und nahm &#x017F;eine Rührung nicht wahr.<lb/>
Zuletzt zeigte &#x017F;ie noch auf Lianens da&#x017F;tehende<lb/>
Harmonika; nun ward ihm das Herz zu voll<lb/>
und zu &#x017F;ichtbar, er &#x017F;prang auf mit den ha&#x017F;ti¬<lb/>
gen Worten, er habe noch keine gehört und<lb/>
trat davor. Ach er wollte etwas berühren,<lb/>
worauf &#x017F;o oft ihre Finger gewe&#x017F;en. Er legte<lb/>
die Hand wie an ein Heiligthum an die&#x017F;e<lb/>
Betglocken, die &#x017F;o oft unter der ihrigen für<lb/>
fromme Gedanken gezittert hatten; aber &#x017F;ie ga¬<lb/>
ben ihm keine Antwort, bis ihm der Lektor, ein<lb/>
Kenner des Abc's wie der Technologie aller<lb/>
Kün&#x017F;te, das Nöthig&#x017F;te in drei Worten gewie¬<lb/>
&#x017F;en. Jetzt &#x017F;og er in die Seele voll Seufzer<lb/>
und Kriege den er&#x017F;ten Dreiklang ein, die er&#x017F;ten<lb/>
Klage&#x017F;ylben die&#x017F;er Mutter&#x017F;prache der lechzen¬<lb/>
den Bru&#x017F;t &#x2014; ach die&#x017F;er <hi rendition="#g">Stummenglocken</hi>,<lb/>
die der innere Men&#x017F;ch in der Hand &#x017F;chüttelt,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0360] hervor und preſſ'te ſie dann ſo tief durch deine Bruſt bis ans Herz! — In keiner Stunde ſeines Lebens war Al¬ bano's Liebe ſo heilig-zart als in dieſer, oder ſein Mitleiden ſo innig. Zum Glück blickte die Miniſterinn immer durch das Fenſter in den Garten und nahm ſeine Rührung nicht wahr. Zuletzt zeigte ſie noch auf Lianens daſtehende Harmonika; nun ward ihm das Herz zu voll und zu ſichtbar, er ſprang auf mit den haſti¬ gen Worten, er habe noch keine gehört und trat davor. Ach er wollte etwas berühren, worauf ſo oft ihre Finger geweſen. Er legte die Hand wie an ein Heiligthum an dieſe Betglocken, die ſo oft unter der ihrigen für fromme Gedanken gezittert hatten; aber ſie ga¬ ben ihm keine Antwort, bis ihm der Lektor, ein Kenner des Abc's wie der Technologie aller Künſte, das Nöthigſte in drei Worten gewie¬ ſen. Jetzt ſog er in die Seele voll Seufzer und Kriege den erſten Dreiklang ein, die erſten Klageſylben dieſer Mutterſprache der lechzen¬ den Bruſt — ach dieſer Stummenglocken, die der innere Menſch in der Hand ſchüttelt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/360
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/360>, abgerufen am 06.05.2024.