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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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mehr als einer Finsterniß genommen und dar¬
in will ich ihn mit allen seinen Quaalen las¬
sen. -- Dann bat Liane ihr Mädchen, es der
Mutter so kurz vor dem Schlafe zu verschwei¬
gen, da es sich vielleicht in der Nacht noch
gebe. Aber umsonst; die Ministerinn war es
gewohnt, ihren Tag an der Brust und der
Lippe ihrer Tochter zu schließen. Nun trat
diese geleitet herein und suchte das Mutterherz
irrig seitwärts und dem sanftern Weinen konnte
sie in dieser geliebten Nähe nicht mehr wehren:
da wurde ja alles verrathen und alles gestan¬
den. -- Die Mutter ließ erst den Doktor ru¬
fen, eh' sie mit feuchten Augen und mit leisen
Armen an der angedrückten Tochter den Be¬
richt anhörte. Sphex kam, prüfte die Augen
und den Puls und machte nichts daraus als
ein Nerven-Falliment.

Der Minister, der überall im Hause Leit¬
hunde mit feinen -- Ohren hatte, kam, unter¬
richtet, herein und machte in Sphexens Bei¬
seyn außer weiten Schritten nichts als die
kleine Note: "Voyes, Madame, comme

mehr als einer Finſterniß genommen und dar¬
in will ich ihn mit allen ſeinen Quaalen las¬
ſen. — Dann bat Liane ihr Mädchen, es der
Mutter ſo kurz vor dem Schlafe zu verſchwei¬
gen, da es ſich vielleicht in der Nacht noch
gebe. Aber umſonſt; die Miniſterinn war es
gewohnt, ihren Tag an der Bruſt und der
Lippe ihrer Tochter zu ſchließen. Nun trat
dieſe geleitet herein und ſuchte das Mutterherz
irrig ſeitwärts und dem ſanftern Weinen konnte
ſie in dieſer geliebten Nähe nicht mehr wehren:
da wurde ja alles verrathen und alles geſtan¬
den. — Die Mutter ließ erſt den Doktor ru¬
fen, eh' ſie mit feuchten Augen und mit leiſen
Armen an der angedrückten Tochter den Be¬
richt anhörte. Sphex kam, prüfte die Augen
und den Puls und machte nichts daraus als
ein Nerven-Falliment.

Der Miniſter, der überall im Hauſe Leit¬
hunde mit feinen — Ohren hatte, kam, unter¬
richtet, herein und machte in Sphexens Bei¬
ſeyn außer weiten Schritten nichts als die
kleine Note: „Voyés, Madame, comme

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[306/0326] mehr als einer Finſterniß genommen und dar¬ in will ich ihn mit allen ſeinen Quaalen las¬ ſen. — Dann bat Liane ihr Mädchen, es der Mutter ſo kurz vor dem Schlafe zu verſchwei¬ gen, da es ſich vielleicht in der Nacht noch gebe. Aber umſonſt; die Miniſterinn war es gewohnt, ihren Tag an der Bruſt und der Lippe ihrer Tochter zu ſchließen. Nun trat dieſe geleitet herein und ſuchte das Mutterherz irrig ſeitwärts und dem ſanftern Weinen konnte ſie in dieſer geliebten Nähe nicht mehr wehren: da wurde ja alles verrathen und alles geſtan¬ den. — Die Mutter ließ erſt den Doktor ru¬ fen, eh' ſie mit feuchten Augen und mit leiſen Armen an der angedrückten Tochter den Be¬ richt anhörte. Sphex kam, prüfte die Augen und den Puls und machte nichts daraus als ein Nerven-Falliment. Der Miniſter, der überall im Hauſe Leit¬ hunde mit feinen — Ohren hatte, kam, unter¬ richtet, herein und machte in Sphexens Bei¬ ſeyn außer weiten Schritten nichts als die kleine Note: „Voyés, Madame, comme

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/326>, abgerufen am 25.11.2024.