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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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gleichsam in Laubknöpfen, Holztrieben und
Ranken aus, und machte Gemälde, Thonge¬
bilde, Sonnenuhren und Plane aller Art, und
sogar in den juristischen Felsen des Pflegeva¬
ters, z. B. in Fabri's Staatskanzlei trieb sie
wie oft Kräuter in Herbarien, ihre durstigen
Wurzeln herum, und über die dürren Blätter
hinaus. O wie schmachtete er (so wie in der
Kindheit von Octav- zu Quart-Büchern, von
Quart zu Folio, von Folio bis zu einem Buche
so groß wie die Welt -- welches eben die
Welt ist) jetzt nach geahneten Lehren und Leh¬
rern! -- Aber desto besser! Nur der Hun¬
ger verdauet, nur die Liebe befruchtet, nur
der Seufzer der Sehnsucht ist die belebende
aura seminalis für das Orpheus-Ei der Wis¬
senschaften. Das bedenket ihr nicht, ihr Flug¬
lehrer, die ihr Kindern den Trank früher
gebt als den Durst, die ihr wie einige Blumi¬
sten in den gespaltenen Stängel der Blumen
fertige Lackfarben, und in ihren Kelch fremden
Bisam legt, anstatt ihnen bloß Morgensonne
und Blumenerde zu geben -- und die ihr jun¬
gen Seelen keine stille Stunden gönnt, son¬

dern

gleichſam in Laubknöpfen, Holztrieben und
Ranken aus, und machte Gemälde, Thonge¬
bilde, Sonnenuhren und Plane aller Art, und
ſogar in den juriſtiſchen Felſen des Pflegeva¬
ters, z. B. in Fabri's Staatskanzlei trieb ſie
wie oft Kräuter in Herbarien, ihre durſtigen
Wurzeln herum, und über die dürren Blätter
hinaus. O wie ſchmachtete er (ſo wie in der
Kindheit von Octav- zu Quart-Büchern, von
Quart zu Folio, von Folio bis zu einem Buche
ſo groß wie die Welt — welches eben die
Welt iſt) jetzt nach geahneten Lehren und Leh¬
rern! — Aber deſto beſſer! Nur der Hun¬
ger verdauet, nur die Liebe befruchtet, nur
der Seufzer der Sehnſucht iſt die belebende
aura seminalis für das Orpheus-Ei der Wiſ¬
ſenſchaften. Das bedenket ihr nicht, ihr Flug¬
lehrer, die ihr Kindern den Trank früher
gebt als den Durſt, die ihr wie einige Blumi¬
ſten in den geſpaltenen Stängel der Blumen
fertige Lackfarben, und in ihren Kelch fremden
Biſam legt, anſtatt ihnen bloß Morgenſonne
und Blumenerde zu geben — und die ihr jun¬
gen Seelen keine ſtille Stunden gönnt, ſon¬

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[128/0148] gleichſam in Laubknöpfen, Holztrieben und Ranken aus, und machte Gemälde, Thonge¬ bilde, Sonnenuhren und Plane aller Art, und ſogar in den juriſtiſchen Felſen des Pflegeva¬ ters, z. B. in Fabri's Staatskanzlei trieb ſie wie oft Kräuter in Herbarien, ihre durſtigen Wurzeln herum, und über die dürren Blätter hinaus. O wie ſchmachtete er (ſo wie in der Kindheit von Octav- zu Quart-Büchern, von Quart zu Folio, von Folio bis zu einem Buche ſo groß wie die Welt — welches eben die Welt iſt) jetzt nach geahneten Lehren und Leh¬ rern! — Aber deſto beſſer! Nur der Hun¬ ger verdauet, nur die Liebe befruchtet, nur der Seufzer der Sehnſucht iſt die belebende aura seminalis für das Orpheus-Ei der Wiſ¬ ſenſchaften. Das bedenket ihr nicht, ihr Flug¬ lehrer, die ihr Kindern den Trank früher gebt als den Durſt, die ihr wie einige Blumi¬ ſten in den geſpaltenen Stängel der Blumen fertige Lackfarben, und in ihren Kelch fremden Biſam legt, anſtatt ihnen bloß Morgenſonne und Blumenerde zu geben — und die ihr jun¬ gen Seelen keine ſtille Stunden gönnt, ſon¬ dern

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/148>, abgerufen am 22.11.2024.