delt. Sie sah mit lebenssatter Leerheit zum Fen¬ ster in das stille Land hinaus, in dem bloß die zwei Kinder des Hofgärtners eine bunte Glaskugel herumkegelten, als der Kanarienvogel, der auf den Achseln des Fürsten wohnte und der ihn wie eine Mücke umflog, von seinem Kopf, der durch sechs Fenster von ihr geschieden war, auf ihren geflattert kam. Sie zog den Kopf mit dem Vogel hinein -- aber auch mit dem Inhaber des Thiers, der sogleich ohne Bedenken kam und sagte: "bei ihnen hat man das Schicksal, zu verlieren -- aber meinem Vogel können Sie die Freiheit nicht neh¬ men" Leuten seiner Art entfließet das alles ohne Akzent; sie reden mit gleichem Tone vom Stern- und vom Kutschen-Himmel und von der Bewegung beider.
Ohne Umstände wollt' er ihr den Pudermantel umthun; sie nahm ihn aber aus andern Rück¬ sichten selber um und sagte, sie wäre schon für den ganzen Tag aufgesetzt bis aufs Pudern. Al¬ lein sie mochte ihren Weigerungen immerhin die schönsten Gestallten umgeben, die ihr sein Stand und die von ihrer Mutter anerzogne Hochachtung gegen sein Geschlecht befahlen: am Ende sah sie,
delt. Sie ſah mit lebensſatter Leerheit zum Fen¬ ſter in das ſtille Land hinaus, in dem bloß die zwei Kinder des Hofgaͤrtners eine bunte Glaskugel herumkegelten, als der Kanarienvogel, der auf den Achſeln des Fuͤrſten wohnte und der ihn wie eine Muͤcke umflog, von ſeinem Kopf, der durch ſechs Fenſter von ihr geſchieden war, auf ihren geflattert kam. Sie zog den Kopf mit dem Vogel hinein — aber auch mit dem Inhaber des Thiers, der ſogleich ohne Bedenken kam und ſagte: „bei ihnen hat man das Schickſal, zu verlieren — aber meinem Vogel koͤnnen Sie die Freiheit nicht neh¬ men“ Leuten ſeiner Art entfließet das alles ohne Akzent; ſie reden mit gleichem Tone vom Stern- und vom Kutſchen-Himmel und von der Bewegung beider.
Ohne Umſtaͤnde wollt' er ihr den Pudermantel umthun; ſie nahm ihn aber aus andern Ruͤck¬ ſichten ſelber um und ſagte, ſie waͤre ſchon fuͤr den ganzen Tag aufgeſetzt bis aufs Pudern. Al¬ lein ſie mochte ihren Weigerungen immerhin die ſchoͤnſten Geſtallten umgeben, die ihr ſein Stand und die von ihrer Mutter anerzogne Hochachtung gegen ſein Geſchlecht befahlen: am Ende ſah ſie,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0030"n="20"/>
delt. Sie ſah mit lebensſatter Leerheit zum Fen¬<lb/>ſter in das ſtille Land hinaus, in dem bloß die<lb/>
zwei Kinder des Hofgaͤrtners eine bunte Glaskugel<lb/>
herumkegelten, als der Kanarienvogel, der auf<lb/>
den Achſeln des Fuͤrſten wohnte und der ihn wie<lb/>
eine Muͤcke umflog, von ſeinem Kopf, der durch<lb/>ſechs Fenſter von ihr geſchieden war, auf <choice><sic>ihrem</sic><corr>ihren</corr></choice><lb/>
geflattert kam. Sie zog den Kopf mit dem Vogel<lb/>
hinein — aber auch mit dem Inhaber des Thiers,<lb/>
der ſogleich ohne Bedenken kam und ſagte: „bei<lb/>
ihnen hat man das Schickſal, zu verlieren — aber<lb/>
meinem Vogel koͤnnen <hirendition="#g">Sie</hi> die Freiheit nicht neh¬<lb/>
men“ Leuten ſeiner Art entfließet das alles ohne<lb/>
Akzent; ſie reden mit gleichem Tone vom Stern-<lb/>
und vom Kutſchen-Himmel und von der Bewegung<lb/>
beider.</p><lb/><p>Ohne Umſtaͤnde wollt' er ihr den Pudermantel<lb/>
umthun; ſie nahm ihn aber aus andern Ruͤck¬<lb/>ſichten ſelber um und ſagte, ſie waͤre ſchon fuͤr<lb/>
den ganzen Tag aufgeſetzt bis aufs Pudern. Al¬<lb/>
lein ſie mochte ihren Weigerungen immerhin die<lb/>ſchoͤnſten Geſtallten umgeben, die ihr ſein Stand<lb/>
und die von ihrer Mutter anerzogne Hochachtung<lb/>
gegen ſein Geſchlecht befahlen: am Ende ſah ſie,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[20/0030]
delt. Sie ſah mit lebensſatter Leerheit zum Fen¬
ſter in das ſtille Land hinaus, in dem bloß die
zwei Kinder des Hofgaͤrtners eine bunte Glaskugel
herumkegelten, als der Kanarienvogel, der auf
den Achſeln des Fuͤrſten wohnte und der ihn wie
eine Muͤcke umflog, von ſeinem Kopf, der durch
ſechs Fenſter von ihr geſchieden war, auf ihren
geflattert kam. Sie zog den Kopf mit dem Vogel
hinein — aber auch mit dem Inhaber des Thiers,
der ſogleich ohne Bedenken kam und ſagte: „bei
ihnen hat man das Schickſal, zu verlieren — aber
meinem Vogel koͤnnen Sie die Freiheit nicht neh¬
men“ Leuten ſeiner Art entfließet das alles ohne
Akzent; ſie reden mit gleichem Tone vom Stern-
und vom Kutſchen-Himmel und von der Bewegung
beider.
Ohne Umſtaͤnde wollt' er ihr den Pudermantel
umthun; ſie nahm ihn aber aus andern Ruͤck¬
ſichten ſelber um und ſagte, ſie waͤre ſchon fuͤr
den ganzen Tag aufgeſetzt bis aufs Pudern. Al¬
lein ſie mochte ihren Weigerungen immerhin die
ſchoͤnſten Geſtallten umgeben, die ihr ſein Stand
und die von ihrer Mutter anerzogne Hochachtung
gegen ſein Geſchlecht befahlen: am Ende ſah ſie,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/30>, abgerufen am 28.03.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.