Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Man erlaube mir, eine scharfsinnige Bemer¬
kung zu machen. Der Unterschied zwischen Love¬
lace
und dem Chevalier ist der moralische Un¬
terschied zwischen den Nationen und Jahrzehenden
von beiden. Der Chevalier ist mit einer solchen
philosophischen Kälte ein Teufel, daß er bloß un¬
ter die Klopstockischen Teufel gehört, die nie zu
bekehren sind. Lovelace hingegen ist ein ganz an¬
derer Mann, bloß ein eitler Alzibiades, der durch
einen Staats- oder Ehe-Posten halb zu bessern wä¬
re. Sogar dann wo seine Unerbittlichkeit gegen
die bittende, kämpfende, weinende, knieende
Unschuld ihn mehr den Modellen aus der Hölle zu
nähern scheint: mildert er seine gleissende Schwär¬
ze durch einen Kunstgrif, der seinem Gewissen ei¬
nige und dem Genie des Dichters die gröste Ehre
macht und welcher der ist, -- daß er, um seine
Unerbittlichkeit zu beschönigen, den wirklichen Ge¬
genstand des Mitleidens, die knieende etc. Klarisse,
für ein theatralisches, malerisches Kunstwerk an¬
sieht und um nicht gerührt zu werden, nur die
Schönheit, nicht die Bitterkeit ihrer Thränen,
nur die mahlerische, nicht die jammernde Stellung
bemerken will. Auf diesem Wege kann man sich

Man erlaube mir, eine ſcharfſinnige Bemer¬
kung zu machen. Der Unterſchied zwiſchen Love¬
lace
und dem Chevalier iſt der moraliſche Un¬
terſchied zwiſchen den Nationen und Jahrzehenden
von beiden. Der Chevalier iſt mit einer ſolchen
philoſophiſchen Kaͤlte ein Teufel, daß er bloß un¬
ter die Klopſtockiſchen Teufel gehoͤrt, die nie zu
bekehren ſind. Lovelace hingegen iſt ein ganz an¬
derer Mann, bloß ein eitler Alzibiades, der durch
einen Staats- oder Ehe-Poſten halb zu beſſern waͤ¬
re. Sogar dann wo ſeine Unerbittlichkeit gegen
die bittende, kaͤmpfende, weinende, knieende
Unſchuld ihn mehr den Modellen aus der Hoͤlle zu
naͤhern ſcheint: mildert er ſeine gleiſſende Schwaͤr¬
ze durch einen Kunſtgrif, der ſeinem Gewiſſen ei¬
nige und dem Genie des Dichters die groͤſte Ehre
macht und welcher der iſt, — daß er, um ſeine
Unerbittlichkeit zu beſchoͤnigen, den wirklichen Ge¬
genſtand des Mitleidens, die knieende ꝛc. Klariſſe,
fuͤr ein theatraliſches, maleriſches Kunſtwerk an¬
ſieht und um nicht geruͤhrt zu werden, nur die
Schoͤnheit, nicht die Bitterkeit ihrer Thraͤnen,
nur die mahleriſche, nicht die jammernde Stellung
bemerken will. Auf dieſem Wege kann man ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0196" n="186"/>
            <p>Man erlaube mir, eine &#x017F;charf&#x017F;innige Bemer¬<lb/>
kung zu machen. Der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen <hi rendition="#g">Love¬<lb/>
lace</hi> und dem <hi rendition="#g">Chevalier</hi> i&#x017F;t der morali&#x017F;che Un¬<lb/>
ter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen den Nationen und Jahrzehenden<lb/>
von beiden. Der Chevalier i&#x017F;t mit einer &#x017F;olchen<lb/>
philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Ka&#x0364;lte ein Teufel, daß er bloß un¬<lb/>
ter <hi rendition="#g">die</hi> Klop&#x017F;tocki&#x017F;chen Teufel geho&#x0364;rt, die nie zu<lb/>
bekehren &#x017F;ind. Lovelace hingegen i&#x017F;t ein ganz an¬<lb/>
derer Mann, bloß ein eitler Alzibiades, der durch<lb/>
einen Staats- oder Ehe-Po&#x017F;ten halb zu be&#x017F;&#x017F;ern wa&#x0364;¬<lb/>
re. Sogar dann wo &#x017F;eine Unerbittlichkeit gegen<lb/>
die bittende, ka&#x0364;mpfende, weinende, knieende<lb/>
Un&#x017F;chuld ihn mehr den Modellen aus der Ho&#x0364;lle zu<lb/>
na&#x0364;hern &#x017F;cheint: mildert er &#x017F;eine glei&#x017F;&#x017F;ende Schwa&#x0364;<lb/>
ze durch einen Kun&#x017F;tgrif, der &#x017F;einem Gewi&#x017F;&#x017F;en ei¬<lb/>
nige und dem Genie des Dichters die gro&#x0364;&#x017F;te Ehre<lb/>
macht und welcher der i&#x017F;t, &#x2014; daß er, um &#x017F;eine<lb/>
Unerbittlichkeit zu be&#x017F;cho&#x0364;nigen, den wirklichen Ge¬<lb/>
gen&#x017F;tand des Mitleidens, die knieende &#xA75B;c. Klari&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
fu&#x0364;r ein theatrali&#x017F;ches, maleri&#x017F;ches Kun&#x017F;twerk an¬<lb/>
&#x017F;ieht und um nicht geru&#x0364;hrt zu werden, nur die<lb/>
Scho&#x0364;nheit, nicht die Bitterkeit ihrer Thra&#x0364;nen,<lb/>
nur die mahleri&#x017F;che, nicht die jammernde Stellung<lb/>
bemerken will. Auf die&#x017F;em Wege kann man &#x017F;ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0196] Man erlaube mir, eine ſcharfſinnige Bemer¬ kung zu machen. Der Unterſchied zwiſchen Love¬ lace und dem Chevalier iſt der moraliſche Un¬ terſchied zwiſchen den Nationen und Jahrzehenden von beiden. Der Chevalier iſt mit einer ſolchen philoſophiſchen Kaͤlte ein Teufel, daß er bloß un¬ ter die Klopſtockiſchen Teufel gehoͤrt, die nie zu bekehren ſind. Lovelace hingegen iſt ein ganz an¬ derer Mann, bloß ein eitler Alzibiades, der durch einen Staats- oder Ehe-Poſten halb zu beſſern waͤ¬ re. Sogar dann wo ſeine Unerbittlichkeit gegen die bittende, kaͤmpfende, weinende, knieende Unſchuld ihn mehr den Modellen aus der Hoͤlle zu naͤhern ſcheint: mildert er ſeine gleiſſende Schwaͤr¬ ze durch einen Kunſtgrif, der ſeinem Gewiſſen ei¬ nige und dem Genie des Dichters die groͤſte Ehre macht und welcher der iſt, — daß er, um ſeine Unerbittlichkeit zu beſchoͤnigen, den wirklichen Ge¬ genſtand des Mitleidens, die knieende ꝛc. Klariſſe, fuͤr ein theatraliſches, maleriſches Kunſtwerk an¬ ſieht und um nicht geruͤhrt zu werden, nur die Schoͤnheit, nicht die Bitterkeit ihrer Thraͤnen, nur die mahleriſche, nicht die jammernde Stellung bemerken will. Auf dieſem Wege kann man ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/196
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/196>, abgerufen am 25.11.2024.