fand, schienen mir Leichname, die der Todt hergelie¬ hen und die das Leben aufrichtet und schiebt, um mit diesen Figuren zu agieren in Europa, Asia, Afri¬ ka und Amerika. . . .
So denk' ich noch: ich werde auch Zeitlebens den Trauer-Eindruck von dieser Gewißheit herumtragen, daß ich sterben muß. Denn das weiß ich erst seit 8 Tagen; ob ich mir gleich vorher recht viel auf meine Empfindsamkeit an Sterbebetten, an Theatern und Leichenkanzeln einbildete. Das Kind begreift keinen Todt, jede Minute seines spielenden Daseyns stellet sich mit ihrem Flimmern vor sein kleines Grab -- -- Geschäfts- und Freuden-Menschen begreifen ihn eben so wenig und es ist entsetzlich, mit welcher Käl¬ te tausend Menschen sagen können, das Leben ist kurz. Es ist entsetzlich, daß man dem betäubten Haufen, dessen Reden artikuliertes Schnarchen ist, das dicke Augenlied nicht aufziehen kann, wenn man von ihm verlangt, sehe doch durch deine Paar Le¬ bensjahre hindurch bis ans Bett, worin du erliegst -- sehe dich mit der hängenden plumpen Todten-Hand, mit dem bergigen Kranken-Gesicht, mit dem weißen Marmor-Auge, höre in deine jezige Stunde die zan¬ kenden Phantasien der letzten Nacht herüber -- diese
große
fand, ſchienen mir Leichname, die der Todt hergelie¬ hen und die das Leben aufrichtet und ſchiebt, um mit dieſen Figuren zu agieren in Europa, Aſia, Afri¬ ka und Amerika. . . .
So denk' ich noch: ich werde auch Zeitlebens den Trauer-Eindruck von dieſer Gewißheit herumtragen, daß ich ſterben muß. Denn das weiß ich erſt ſeit 8 Tagen; ob ich mir gleich vorher recht viel auf meine Empfindſamkeit an Sterbebetten, an Theatern und Leichenkanzeln einbildete. Das Kind begreift keinen Todt, jede Minute ſeines ſpielenden Daſeyns ſtellet ſich mit ihrem Flimmern vor ſein kleines Grab — — Geſchaͤfts- und Freuden-Menſchen begreifen ihn eben ſo wenig und es iſt entſetzlich, mit welcher Kaͤl¬ te tauſend Menſchen ſagen koͤnnen, das Leben iſt kurz. Es iſt entſetzlich, daß man dem betaͤubten Haufen, deſſen Reden artikuliertes Schnarchen iſt, das dicke Augenlied nicht aufziehen kann, wenn man von ihm verlangt, ſehe doch durch deine Paar Le¬ bensjahre hindurch bis ans Bett, worin du erliegſt — ſehe dich mit der haͤngenden plumpen Todten-Hand, mit dem bergigen Kranken-Geſicht, mit dem weißen Marmor-Auge, hoͤre in deine jezige Stunde die zan¬ kenden Phantaſien der letzten Nacht heruͤber — dieſe
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fand, ſchienen mir Leichname, die der Todt hergelie¬
hen und die das Leben aufrichtet und ſchiebt, um
mit dieſen Figuren zu agieren in Europa, Aſia, Afri¬
ka und Amerika. . . .
So denk' ich noch: ich werde auch Zeitlebens den
Trauer-Eindruck von dieſer Gewißheit herumtragen,
daß ich ſterben muß. Denn das weiß ich erſt ſeit 8
Tagen; ob ich mir gleich vorher recht viel auf meine
Empfindſamkeit an Sterbebetten, an Theatern und
Leichenkanzeln einbildete. Das Kind begreift keinen
Todt, jede Minute ſeines ſpielenden Daſeyns ſtellet
ſich mit ihrem Flimmern vor ſein kleines Grab — —
Geſchaͤfts- und Freuden-Menſchen begreifen ihn
eben ſo wenig und es iſt entſetzlich, mit welcher Kaͤl¬
te tauſend Menſchen ſagen koͤnnen, das Leben iſt
kurz. Es iſt entſetzlich, daß man dem betaͤubten
Haufen, deſſen Reden artikuliertes Schnarchen iſt,
das dicke Augenlied nicht aufziehen kann, wenn man
von ihm verlangt, ſehe doch durch deine Paar Le¬
bensjahre hindurch bis ans Bett, worin du erliegſt —
ſehe dich mit der haͤngenden plumpen Todten-Hand,
mit dem bergigen Kranken-Geſicht, mit dem weißen
Marmor-Auge, hoͤre in deine jezige Stunde die zan¬
kenden Phantaſien der letzten Nacht heruͤber — dieſe
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/154>, abgerufen am 05.10.2024.
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