zu Sternen verkleinerten Sonnen und die geliebte Seele, die er vor dem Untergange aller Sonnen nicht erreichen konnte. -- Gustav mußte denken, der Traum sei aus seinem Schlafe ins Leben über¬ gezogen und er habe nicht geschlafen; sein Geist konnte die großen steilen Ideen vor ihm nicht be¬ wegen und nicht vereinigen. "In welcher Welt sind wir?" sagt' er, aber in einem erhabnen Tone, der beinahe die Frage beantwortete. Sei¬ ne Hand war mit ihrer ziehenden fest verwachsen. "Sie sind noch im Traume" sagte sie sanft und bebend. Dieses Sie und die Stimme stieß auf einmal seinen Traum in den Hintergrund aus der Gegenwart zurück; aber der Traum hatte ihm die Gestalt, die an seiner Hand kämpfte, lieber und vertrauter gemacht und die geträumte Unter¬ redung wirkte in ihm wie eine wahre und sein Geist war noch eine erhaben-fortbebende Saite, in die ein Engel seine Entzückung gerissen -- und da jetzt drüben im öden Tempel die Orgel durch neues Er¬ tönen die Szene über den irdischen Boden erhob, wo beide Seelen noch waren; da Beatens Stellung schwankte, ihre Lippe zitterte, ihr Auge brach: -- so war ihm wieder als würde der Traum wahr,
zu Sternen verkleinerten Sonnen und die geliebte Seele, die er vor dem Untergange aller Sonnen nicht erreichen konnte. — Guſtav mußte denken, der Traum ſei aus ſeinem Schlafe ins Leben uͤber¬ gezogen und er habe nicht geſchlafen; ſein Geiſt konnte die großen ſteilen Ideen vor ihm nicht be¬ wegen und nicht vereinigen. „In welcher Welt ſind wir?“ ſagt' er, aber in einem erhabnen Tone, der beinahe die Frage beantwortete. Sei¬ ne Hand war mit ihrer ziehenden feſt verwachſen. „Sie ſind noch im Traume“ ſagte ſie ſanft und bebend. Dieſes Sie und die Stimme ſtieß auf einmal ſeinen Traum in den Hintergrund aus der Gegenwart zuruͤck; aber der Traum hatte ihm die Geſtalt, die an ſeiner Hand kaͤmpfte, lieber und vertrauter gemacht und die getraͤumte Unter¬ redung wirkte in ihm wie eine wahre und ſein Geiſt war noch eine erhaben-fortbebende Saite, in die ein Engel ſeine Entzuͤckung geriſſen — und da jetzt druͤben im oͤden Tempel die Orgel durch neues Er¬ toͤnen die Szene uͤber den irdiſchen Boden erhob, wo beide Seelen noch waren; da Beatens Stellung ſchwankte, ihre Lippe zitterte, ihr Auge brach: — ſo war ihm wieder als wuͤrde der Traum wahr,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0136"n="126"/>
zu Sternen verkleinerten Sonnen und die geliebte<lb/>
Seele, die er vor dem Untergange aller Sonnen<lb/>
nicht erreichen konnte. — Guſtav mußte denken,<lb/>
der Traum ſei aus ſeinem Schlafe ins Leben uͤber¬<lb/>
gezogen und er habe nicht geſchlafen; ſein Geiſt<lb/>
konnte die großen ſteilen Ideen vor ihm nicht be¬<lb/>
wegen und nicht vereinigen. „In welcher Welt<lb/>ſind wir?“ſagt' er, aber in einem erhabnen<lb/>
Tone, der beinahe die Frage beantwortete. Sei¬<lb/>
ne Hand war mit ihrer ziehenden feſt verwachſen.<lb/>„Sie ſind noch im Traume“ſagte ſie ſanft und<lb/>
bebend. Dieſes <hirendition="#g">Sie</hi> und die Stimme ſtieß auf<lb/>
einmal ſeinen Traum in den Hintergrund aus der<lb/>
Gegenwart zuruͤck; aber der Traum hatte ihm<lb/>
die Geſtalt, die an ſeiner Hand kaͤmpfte, lieber<lb/>
und vertrauter gemacht und die getraͤumte Unter¬<lb/>
redung wirkte in ihm wie eine wahre und ſein Geiſt<lb/>
war noch eine erhaben-fortbebende Saite, in die<lb/>
ein Engel ſeine Entzuͤckung geriſſen — und da jetzt<lb/>
druͤben im oͤden Tempel die Orgel durch neues Er¬<lb/>
toͤnen die Szene uͤber den irdiſchen Boden erhob,<lb/>
wo beide Seelen noch waren; da Beatens Stellung<lb/>ſchwankte, ihre Lippe zitterte, ihr Auge brach:<lb/>—ſo war ihm wieder als wuͤrde der Traum wahr,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[126/0136]
zu Sternen verkleinerten Sonnen und die geliebte
Seele, die er vor dem Untergange aller Sonnen
nicht erreichen konnte. — Guſtav mußte denken,
der Traum ſei aus ſeinem Schlafe ins Leben uͤber¬
gezogen und er habe nicht geſchlafen; ſein Geiſt
konnte die großen ſteilen Ideen vor ihm nicht be¬
wegen und nicht vereinigen. „In welcher Welt
ſind wir?“ ſagt' er, aber in einem erhabnen
Tone, der beinahe die Frage beantwortete. Sei¬
ne Hand war mit ihrer ziehenden feſt verwachſen.
„Sie ſind noch im Traume“ ſagte ſie ſanft und
bebend. Dieſes Sie und die Stimme ſtieß auf
einmal ſeinen Traum in den Hintergrund aus der
Gegenwart zuruͤck; aber der Traum hatte ihm
die Geſtalt, die an ſeiner Hand kaͤmpfte, lieber
und vertrauter gemacht und die getraͤumte Unter¬
redung wirkte in ihm wie eine wahre und ſein Geiſt
war noch eine erhaben-fortbebende Saite, in die
ein Engel ſeine Entzuͤckung geriſſen — und da jetzt
druͤben im oͤden Tempel die Orgel durch neues Er¬
toͤnen die Szene uͤber den irdiſchen Boden erhob,
wo beide Seelen noch waren; da Beatens Stellung
ſchwankte, ihre Lippe zitterte, ihr Auge brach:
— ſo war ihm wieder als wuͤrde der Traum wahr,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/136>, abgerufen am 02.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.