entschlummerten Kinder in die größere Ruhestätte legt. Sonntags floh Gustav aus dem Schlosse, wo die lärmenden Staatswägen und Bedienten gleich¬ sam über sein Herz giengen, mit eingehüllten Sin¬ nen hinaus. Es fühlte heute zum erstenmale, daß er auf der Erde nicht einheimisch sei, das Sonnen¬ licht schien ihm das in unsere Nacht gewebte Däm¬ mer-Licht eines größern Monds zu seyn. Ob er gleich jetzt seinem weggerückten Freunde sich auf dieser Erde weder nähern noch entziehen konnte: so sagte sein Schmerz doch, wenn er auch nicht den Leichnam, nicht den Sarg, sondern nur das Grabes-Beet umfaßte, das auf diesen Saamen einer schönern Erde drückte, so würd' ihm wohl seyn; und er stellte sich daher auf einen entfern¬ ten Hügel, um zu sehen ob noch Leute auf dem Eremitenberge wären.
Sein Auge begegnete gerade dem größten Jam¬ mer, den es an diesem Abend für ihn hienieden gab: der durch den Abend hindurch blinkende weis¬ se Sarg wurde herausgehoben -- eine entzweifal¬ lende Rose, eine durchlöcherte Puppe, ein sich aus¬ spannender Schmetterling, der jene als Würm¬ chen zernagt hatte, waren auf die Sargpuppe ge¬
entſchlummerten Kinder in die groͤßere Ruheſtaͤtte legt. Sonntags floh Guſtav aus dem Schloſſe, wo die laͤrmenden Staatswaͤgen und Bedienten gleich¬ ſam uͤber ſein Herz giengen, mit eingehuͤllten Sin¬ nen hinaus. Es fuͤhlte heute zum erſtenmale, daß er auf der Erde nicht einheimiſch ſei, das Sonnen¬ licht ſchien ihm das in unſere Nacht gewebte Daͤm¬ mer-Licht eines groͤßern Monds zu ſeyn. Ob er gleich jetzt ſeinem weggeruͤckten Freunde ſich auf dieſer Erde weder naͤhern noch entziehen konnte: ſo ſagte ſein Schmerz doch, wenn er auch nicht den Leichnam, nicht den Sarg, ſondern nur das Grabes-Beet umfaßte, das auf dieſen Saamen einer ſchoͤnern Erde druͤckte, ſo wuͤrd' ihm wohl ſeyn; und er ſtellte ſich daher auf einen entfern¬ ten Huͤgel, um zu ſehen ob noch Leute auf dem Eremitenberge waͤren.
Sein Auge begegnete gerade dem groͤßten Jam¬ mer, den es an dieſem Abend fuͤr ihn hienieden gab: der durch den Abend hindurch blinkende weiſ¬ ſe Sarg wurde herausgehoben — eine entzweifal¬ lende Roſe, eine durchloͤcherte Puppe, ein ſich aus¬ ſpannender Schmetterling, der jene als Wuͤrm¬ chen zernagt hatte, waren auf die Sargpuppe ge¬
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entſchlummerten Kinder in die groͤßere Ruheſtaͤtte
legt. Sonntags floh Guſtav aus dem Schloſſe, wo
die laͤrmenden Staatswaͤgen und Bedienten gleich¬
ſam uͤber ſein Herz giengen, mit eingehuͤllten Sin¬
nen hinaus. Es fuͤhlte heute zum erſtenmale, daß
er auf der Erde nicht einheimiſch ſei, das Sonnen¬
licht ſchien ihm das in unſere Nacht gewebte Daͤm¬
mer-Licht eines groͤßern Monds zu ſeyn. Ob er
gleich jetzt ſeinem weggeruͤckten Freunde ſich auf
dieſer Erde weder naͤhern noch entziehen konnte:
ſo ſagte ſein Schmerz doch, wenn er auch nicht
den Leichnam, nicht den Sarg, ſondern nur das
Grabes-Beet umfaßte, das auf dieſen Saamen
einer ſchoͤnern Erde druͤckte, ſo wuͤrd' ihm wohl
ſeyn; und er ſtellte ſich daher auf einen entfern¬
ten Huͤgel, um zu ſehen ob noch Leute auf dem
Eremitenberge waͤren.
Sein Auge begegnete gerade dem groͤßten Jam¬
mer, den es an dieſem Abend fuͤr ihn hienieden
gab: der durch den Abend hindurch blinkende weiſ¬
ſe Sarg wurde herausgehoben — eine entzweifal¬
lende Roſe, eine durchloͤcherte Puppe, ein ſich aus¬
ſpannender Schmetterling, der jene als Wuͤrm¬
chen zernagt hatte, waren auf die Sargpuppe ge¬
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/110>, abgerufen am 22.11.2024.
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