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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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sern Garten abmähet . . . . und doch ist nicht ein
Jahrhundert sondern jede Sekunde seine Sense."
. . . . Auf diese Art betrübte und tröstete er sich
unter dem beflorten Mond -- Amandus wachte
ängstlich auf; beide waren allein; der Mond ruh¬
te mit seinem Schimmer gewöhnlich auf seinem
kranken Auge; "wer hat denn den Mond zerschnit¬
ten" (sagt' er gequält) "er ist todt bis auf ein
Schnitzchen." Auf einmal war die Stubendecke
und die entgegengesetzten Häuser flammend roth,
weil die Leichenfackeln mit einem Edelmann, der
auf seinen Erbbegräbniß gefahren wurde, durch
die stumme Gasse zogen. "Es brennt, es brennt,"
rief der Sterbende und suchte herauszueilen. Gu¬
stav wollt' ihm verbergen, wie ähnlich ihm der sei,
der unten zum letztenmale über die Gasse gieng;
aber Amandus, ängstlich als wenn ihn der Tod er¬
drückte, wankte über das halbe Zimmer in Gu¬
stavs Armen . . . . . . eh' er die Leiche sah, legt' ihn
ein Nervenschlag todt in diese Arme . . . .

Gustav trug so kalt wie der Todte den Einge¬
schlafnen aufs verlassene Lager -- ohne Thräne, oh¬
ne Laut, ohne Gedanke setzte er sich ins verhüllte
Monds- und ins herflimmernde Leichenlicht -- der

ſern Garten abmaͤhet . . . . und doch iſt nicht ein
Jahrhundert ſondern jede Sekunde ſeine Senſe.“
. . . . Auf dieſe Art betruͤbte und troͤſtete er ſich
unter dem beflorten Mond — Amandus wachte
aͤngſtlich auf; beide waren allein; der Mond ruh¬
te mit ſeinem Schimmer gewoͤhnlich auf ſeinem
kranken Auge; „wer hat denn den Mond zerſchnit¬
ten“ (ſagt' er gequaͤlt) „er iſt todt bis auf ein
Schnitzchen.“ Auf einmal war die Stubendecke
und die entgegengeſetzten Haͤuſer flammend roth,
weil die Leichenfackeln mit einem Edelmann, der
auf ſeinen Erbbegraͤbniß gefahren wurde, durch
die ſtumme Gaſſe zogen. „Es brennt, es brennt,“
rief der Sterbende und ſuchte herauszueilen. Gu¬
ſtav wollt' ihm verbergen, wie aͤhnlich ihm der ſei,
der unten zum letztenmale uͤber die Gaſſe gieng;
aber Amandus, aͤngſtlich als wenn ihn der Tod er¬
druͤckte, wankte uͤber das halbe Zimmer in Gu¬
ſtavs Armen . . . . . . eh' er die Leiche ſah, legt' ihn
ein Nervenſchlag todt in dieſe Arme . . . .

Guſtav trug ſo kalt wie der Todte den Einge¬
ſchlafnen aufs verlaſſene Lager — ohne Thraͤne, oh¬
ne Laut, ohne Gedanke ſetzte er ſich ins verhuͤllte
Monds- und ins herflimmernde Leichenlicht — der

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[95/0105] ſern Garten abmaͤhet . . . . und doch iſt nicht ein Jahrhundert ſondern jede Sekunde ſeine Senſe.“ . . . . Auf dieſe Art betruͤbte und troͤſtete er ſich unter dem beflorten Mond — Amandus wachte aͤngſtlich auf; beide waren allein; der Mond ruh¬ te mit ſeinem Schimmer gewoͤhnlich auf ſeinem kranken Auge; „wer hat denn den Mond zerſchnit¬ ten“ (ſagt' er gequaͤlt) „er iſt todt bis auf ein Schnitzchen.“ Auf einmal war die Stubendecke und die entgegengeſetzten Haͤuſer flammend roth, weil die Leichenfackeln mit einem Edelmann, der auf ſeinen Erbbegraͤbniß gefahren wurde, durch die ſtumme Gaſſe zogen. „Es brennt, es brennt,“ rief der Sterbende und ſuchte herauszueilen. Gu¬ ſtav wollt' ihm verbergen, wie aͤhnlich ihm der ſei, der unten zum letztenmale uͤber die Gaſſe gieng; aber Amandus, aͤngſtlich als wenn ihn der Tod er¬ druͤckte, wankte uͤber das halbe Zimmer in Gu¬ ſtavs Armen . . . . . . eh' er die Leiche ſah, legt' ihn ein Nervenſchlag todt in dieſe Arme . . . . Guſtav trug ſo kalt wie der Todte den Einge¬ ſchlafnen aufs verlaſſene Lager — ohne Thraͤne, oh¬ ne Laut, ohne Gedanke ſetzte er ſich ins verhuͤllte Monds- und ins herflimmernde Leichenlicht — der

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/105>, abgerufen am 25.11.2024.