Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.rizont herauf wie das Abendroth der Juniussonne rizont herauf wie das Abendroth der Juniusſonne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0102" n="92"/> rizont herauf wie das Abendroth der Juniusſonne<lb/> gegen Mitternacht, er druͤckte dem ſchoͤnen Leben<lb/> noch einmal die Hand, vom Hauch der letzten Freu¬<lb/> de glimmten noch einmal ſeine blaſſen Wangen an<lb/> und der Engel der Freude ließ ihn am Seile der<lb/> Liebe langſam ins Grab hinab. — Ein Sterbender<lb/> ſieht die Menſchen und ihr Thun ſchon in einer tie¬<lb/> fen Entfernung verkleinert; ihm ſind unſre kleinen<lb/> Hoͤflichkeitsregeln wenig mehr — alles iſt ihm ja<lb/> nichts mehr. Er bat, ihn mit Guſtav und Beata<lb/> allein zu laſſen; ſeine Seele hielt den ſich nieder¬<lb/> beugenden Koͤrper; mit einer abgebrochnen aber<lb/> geneſenen Stimme redete er das bebende Maͤdchen<lb/> an: „Beata, ich werde ſterben, vielleicht heute<lb/> „Nacht — in meinen ſchoͤnern Tagen hab' ich dich<lb/> „geliebt, du haſt es nicht gewußt — ich gehe mit<lb/> „meiner Liebe in die Ewigkeit — o Gute, gieb mir<lb/> „deine Hand (ſie thats) und weine nicht, ſondern<lb/> „ſpreche, ich habe dich ſo lange nicht geſehen und<lb/> „nicht gehoͤrt — aber weinet nur: euere Thraͤnen<lb/> „machen mich nicht mehr weich, in meine heiſſen<lb/> „Augen kommen ſo lang ich liege keine — o wei¬<lb/> „net ſehr bei mir: wenn man traͤumt man wein'<lb/> „auf einen Todten, ſo bedeutet es Gewinn. — —<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0102]
rizont herauf wie das Abendroth der Juniusſonne
gegen Mitternacht, er druͤckte dem ſchoͤnen Leben
noch einmal die Hand, vom Hauch der letzten Freu¬
de glimmten noch einmal ſeine blaſſen Wangen an
und der Engel der Freude ließ ihn am Seile der
Liebe langſam ins Grab hinab. — Ein Sterbender
ſieht die Menſchen und ihr Thun ſchon in einer tie¬
fen Entfernung verkleinert; ihm ſind unſre kleinen
Hoͤflichkeitsregeln wenig mehr — alles iſt ihm ja
nichts mehr. Er bat, ihn mit Guſtav und Beata
allein zu laſſen; ſeine Seele hielt den ſich nieder¬
beugenden Koͤrper; mit einer abgebrochnen aber
geneſenen Stimme redete er das bebende Maͤdchen
an: „Beata, ich werde ſterben, vielleicht heute
„Nacht — in meinen ſchoͤnern Tagen hab' ich dich
„geliebt, du haſt es nicht gewußt — ich gehe mit
„meiner Liebe in die Ewigkeit — o Gute, gieb mir
„deine Hand (ſie thats) und weine nicht, ſondern
„ſpreche, ich habe dich ſo lange nicht geſehen und
„nicht gehoͤrt — aber weinet nur: euere Thraͤnen
„machen mich nicht mehr weich, in meine heiſſen
„Augen kommen ſo lang ich liege keine — o wei¬
„net ſehr bei mir: wenn man traͤumt man wein'
„auf einen Todten, ſo bedeutet es Gewinn. — —
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