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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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war, den längsten Abschied dieses Lebens nehmen
wollte -- meine Lippen, dacht' er, sollen nur noch
einmal gedrückt auf seinen liegen und meine Brust
auf seiner -- nur noch einmal will ich den warmen
Leichnam umschließen, da noch eine Seele darin
mein Umfassen fühlt -- nur noch einmal will ich
seinem wegziehenden Geiste, da ich ihn noch errei¬
che, nachrufen, wie ich ihn geliebt habe und lie¬
ben werde . . . . Unter diesen Wünschen heiligte
das schönste Weihwasser des Menschen sein Auge.
Aber er unterließ alles, weil er besorgte, unter
dieser heftigen Szene ließen die gerissenen Bande
des Körpers die bewegte Seele loß und an seinem
Munde stürbe der Schwache . . . .

Diese Zärtlichkeit, die sich selbst aufopfert und
nicht aus der Nonnenzelle des Herzens tritt, ge¬
fällt mir mehr als ein belletristischer und theatra¬
lischer Final-Orkan, wo man empfindet, um es
zu weisen, um eine Thränen- und Dinten-Fistel
zu haben wie andre, um von seinen Empfindun¬
gen, wie vom Schnupftuch womit man sie trock¬
net, einen Zipfel aus der Tasche herauszuhenken.

Der Doktor, von dem man in Maussenbach
noch kein betrübtes Gesicht gesehen, gewann schon

war, den laͤngſten Abſchied dieſes Lebens nehmen
wollte — meine Lippen, dacht' er, ſollen nur noch
einmal gedruͤckt auf ſeinen liegen und meine Bruſt
auf ſeiner — nur noch einmal will ich den warmen
Leichnam umſchließen, da noch eine Seele darin
mein Umfaſſen fuͤhlt — nur noch einmal will ich
ſeinem wegziehenden Geiſte, da ich ihn noch errei¬
che, nachrufen, wie ich ihn geliebt habe und lie¬
ben werde . . . . Unter dieſen Wuͤnſchen heiligte
das ſchoͤnſte Weihwaſſer des Menſchen ſein Auge.
Aber er unterließ alles, weil er beſorgte, unter
dieſer heftigen Szene ließen die geriſſenen Bande
des Koͤrpers die bewegte Seele loß und an ſeinem
Munde ſtuͤrbe der Schwache . . . .

Dieſe Zaͤrtlichkeit, die ſich ſelbſt aufopfert und
nicht aus der Nonnenzelle des Herzens tritt, ge¬
faͤllt mir mehr als ein belletriſtiſcher und theatra¬
liſcher Final-Orkan, wo man empfindet, um es
zu weiſen, um eine Thraͤnen- und Dinten-Fiſtel
zu haben wie andre, um von ſeinen Empfindun¬
gen, wie vom Schnupftuch womit man ſie trock¬
net, einen Zipfel aus der Taſche herauszuhenken.

Der Doktor, von dem man in Mauſſenbach
noch kein betruͤbtes Geſicht geſehen, gewann ſchon

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[90/0100] war, den laͤngſten Abſchied dieſes Lebens nehmen wollte — meine Lippen, dacht' er, ſollen nur noch einmal gedruͤckt auf ſeinen liegen und meine Bruſt auf ſeiner — nur noch einmal will ich den warmen Leichnam umſchließen, da noch eine Seele darin mein Umfaſſen fuͤhlt — nur noch einmal will ich ſeinem wegziehenden Geiſte, da ich ihn noch errei¬ che, nachrufen, wie ich ihn geliebt habe und lie¬ ben werde . . . . Unter dieſen Wuͤnſchen heiligte das ſchoͤnſte Weihwaſſer des Menſchen ſein Auge. Aber er unterließ alles, weil er beſorgte, unter dieſer heftigen Szene ließen die geriſſenen Bande des Koͤrpers die bewegte Seele loß und an ſeinem Munde ſtuͤrbe der Schwache . . . . Dieſe Zaͤrtlichkeit, die ſich ſelbſt aufopfert und nicht aus der Nonnenzelle des Herzens tritt, ge¬ faͤllt mir mehr als ein belletriſtiſcher und theatra¬ liſcher Final-Orkan, wo man empfindet, um es zu weiſen, um eine Thraͤnen- und Dinten-Fiſtel zu haben wie andre, um von ſeinen Empfindun¬ gen, wie vom Schnupftuch womit man ſie trock¬ net, einen Zipfel aus der Taſche herauszuhenken. Der Doktor, von dem man in Mauſſenbach noch kein betruͤbtes Geſicht geſehen, gewann ſchon

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/100>, abgerufen am 22.11.2024.