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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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die Hand, daß du sie mehr liebest wie mich." Er
nahm sie selber; aber Gustaven schmerzte es.

Plötzlich drängte sich in seine eingesunknen Wan¬
gen-Adern vielleicht die letzte Schaamröthe, die oft
wie Morgenröthe vor einer guten That voreiit: er
verlangte seinen Vater her. An diesen that er mit
so viel Feuer, mit so viel Sehnsucht in Aug' und Lip¬
pe die Bitte, -- -- Beaten herzuholen, die ja ei¬
nem Sterbenden nicht die letzte Bitte versagen kön¬
ne, daß es sein Vater auch nicht konnte: sondern er
versprach (trotz dem Gefühle der Unschicklichkeit) zu
ihrer Mutter zu fahren und durch diese jene herzu¬
bereden und beide zu bringen. -- Fenk wuste, daß
in seiner ganzen Krankheit kein Abschlagen etwas
verfieng -- daß er wenn er ihn am letzten vergebli¬
chen Wunsche gestorben sähe, den Gedanken nicht
tragen könne, dem Leichnam die Todesminuten, die
er noch ausschlürfte, verbittert zu haben -- und daß
Mutter und Tochter zu gut wären, um nicht gegen
seinen Sohn zu handeln wie er: kurz er fuhr.

Als der Vater hinaus war: sah der Kranke un¬
sern und seinen Freund mit einem solchem Strom
von lächelnd versprechender Liebe an, daß Gustav von
der treuen guten Seele, deren Scheiden, so nahe

die Hand, daß du ſie mehr liebeſt wie mich.“ Er
nahm ſie ſelber; aber Guſtaven ſchmerzte es.

Ploͤtzlich draͤngte ſich in ſeine eingeſunknen Wan¬
gen-Adern vielleicht die letzte Schaamroͤthe, die oft
wie Morgenroͤthe vor einer guten That voreiit: er
verlangte ſeinen Vater her. An dieſen that er mit
ſo viel Feuer, mit ſo viel Sehnſucht in Aug' und Lip¬
pe die Bitte, — — Beaten herzuholen, die ja ei¬
nem Sterbenden nicht die letzte Bitte verſagen koͤn¬
ne, daß es ſein Vater auch nicht konnte: ſondern er
verſprach (trotz dem Gefuͤhle der Unſchicklichkeit) zu
ihrer Mutter zu fahren und durch dieſe jene herzu¬
bereden und beide zu bringen. — Fenk wuſte, daß
in ſeiner ganzen Krankheit kein Abſchlagen etwas
verfieng — daß er wenn er ihn am letzten vergebli¬
chen Wunſche geſtorben ſaͤhe, den Gedanken nicht
tragen koͤnne, dem Leichnam die Todesminuten, die
er noch ausſchluͤrfte, verbittert zu haben — und daß
Mutter und Tochter zu gut waͤren, um nicht gegen
ſeinen Sohn zu handeln wie er: kurz er fuhr.

Als der Vater hinaus war: ſah der Kranke un¬
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von laͤchelnd verſprechender Liebe an, daß Guſtav von
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[89/0099] die Hand, daß du ſie mehr liebeſt wie mich.“ Er nahm ſie ſelber; aber Guſtaven ſchmerzte es. Ploͤtzlich draͤngte ſich in ſeine eingeſunknen Wan¬ gen-Adern vielleicht die letzte Schaamroͤthe, die oft wie Morgenroͤthe vor einer guten That voreiit: er verlangte ſeinen Vater her. An dieſen that er mit ſo viel Feuer, mit ſo viel Sehnſucht in Aug' und Lip¬ pe die Bitte, — — Beaten herzuholen, die ja ei¬ nem Sterbenden nicht die letzte Bitte verſagen koͤn¬ ne, daß es ſein Vater auch nicht konnte: ſondern er verſprach (trotz dem Gefuͤhle der Unſchicklichkeit) zu ihrer Mutter zu fahren und durch dieſe jene herzu¬ bereden und beide zu bringen. — Fenk wuſte, daß in ſeiner ganzen Krankheit kein Abſchlagen etwas verfieng — daß er wenn er ihn am letzten vergebli¬ chen Wunſche geſtorben ſaͤhe, den Gedanken nicht tragen koͤnne, dem Leichnam die Todesminuten, die er noch ausſchluͤrfte, verbittert zu haben — und daß Mutter und Tochter zu gut waͤren, um nicht gegen ſeinen Sohn zu handeln wie er: kurz er fuhr. Als der Vater hinaus war: ſah der Kranke un¬ ſern und ſeinen Freund mit einem ſolchem Strom von laͤchelnd verſprechender Liebe an, daß Guſtav von der treuen guten Seele, deren Scheiden, ſo nahe

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/99>, abgerufen am 08.05.2024.