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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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gabe der vorigen lang Folio-Ausgabe. Die Mo¬
ral, die ich daraus holen kann, möchte die Fra¬
ge seyn: sollte ein gescheuter Staat, der doch
gewiß siebzigmal klüger ist als alle Strumpfwürker
zusammengenommen, die ja selber nur Glieder
desselben sind, den eingesäumten Strumpfwürker
nicht dadurch am besten einholen, daß er auch sei¬
ne schmutzigen Glieder (Diebe, Ehebrecher etc.) statt
lange an ihnen zu reiben und zu saubern, mit dem
Schwerdte oder sonst frisch herunter schnitte? . . .

Der Doktor zerstreuete durch launigten Trost
die einsamen Flüche die sein Freund statt der Seuf¬
zer that. Er sagte, er hab' an ihr mehr als ein¬
mal über einen besonders guten Zug, den er ge¬
than, kein andres Erschrecken bemerkt als ein freu¬
diges. Er wolle sein Reisegeld daran setzen, daß
sie, da sie ihn liebe, einen Pfif in ihrem Kopfe
großbrüte, der die Treppe zum Brautbettezimmern
werde -- er rieth ihn, sich zerstreuet und achtlos
anzustellen, damit er sie nicht im Ausbrüten des
Pfiffes ertappe und wegstöhre -- er fragte ihn,
"kennst Du den kleinen Dienst der Liebe voll¬
kommen?" Kein Deutscher verstand Metaphern we¬
niger als er. "Ich meine, fuhr er fort, kannst

B

gabe der vorigen lang Folio-Ausgabe. Die Mo¬
ral, die ich daraus holen kann, moͤchte die Fra¬
ge ſeyn: ſollte ein geſcheuter Staat, der doch
gewiß ſiebzigmal kluͤger iſt als alle Strumpfwuͤrker
zuſammengenommen, die ja ſelber nur Glieder
deſſelben ſind, den eingeſaͤumten Strumpfwuͤrker
nicht dadurch am beſten einholen, daß er auch ſei¬
ne ſchmutzigen Glieder (Diebe, Ehebrecher ꝛc.) ſtatt
lange an ihnen zu reiben und zu ſaubern, mit dem
Schwerdte oder ſonſt friſch herunter ſchnitte? . . .

Der Doktor zerſtreuete durch launigten Troſt
die einſamen Fluͤche die ſein Freund ſtatt der Seuf¬
zer that. Er ſagte, er hab' an ihr mehr als ein¬
mal uͤber einen beſonders guten Zug, den er ge¬
than, kein andres Erſchrecken bemerkt als ein freu¬
diges. Er wolle ſein Reiſegeld daran ſetzen, daß
ſie, da ſie ihn liebe, einen Pfif in ihrem Kopfe
großbruͤte, der die Treppe zum Brautbettezimmern
werde — er rieth ihn, ſich zerſtreuet und achtlos
anzuſtellen, damit er ſie nicht im Ausbruͤten des
Pfiffes ertappe und wegſtoͤhre — er fragte ihn,
„kennſt Du den kleinen Dienſt der Liebe voll¬
kommen?“ Kein Deutſcher verſtand Metaphern we¬
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[17/0053] gabe der vorigen lang Folio-Ausgabe. Die Mo¬ ral, die ich daraus holen kann, moͤchte die Fra¬ ge ſeyn: ſollte ein geſcheuter Staat, der doch gewiß ſiebzigmal kluͤger iſt als alle Strumpfwuͤrker zuſammengenommen, die ja ſelber nur Glieder deſſelben ſind, den eingeſaͤumten Strumpfwuͤrker nicht dadurch am beſten einholen, daß er auch ſei¬ ne ſchmutzigen Glieder (Diebe, Ehebrecher ꝛc.) ſtatt lange an ihnen zu reiben und zu ſaubern, mit dem Schwerdte oder ſonſt friſch herunter ſchnitte? . . . Der Doktor zerſtreuete durch launigten Troſt die einſamen Fluͤche die ſein Freund ſtatt der Seuf¬ zer that. Er ſagte, er hab' an ihr mehr als ein¬ mal uͤber einen beſonders guten Zug, den er ge¬ than, kein andres Erſchrecken bemerkt als ein freu¬ diges. Er wolle ſein Reiſegeld daran ſetzen, daß ſie, da ſie ihn liebe, einen Pfif in ihrem Kopfe großbruͤte, der die Treppe zum Brautbettezimmern werde — er rieth ihn, ſich zerſtreuet und achtlos anzuſtellen, damit er ſie nicht im Ausbruͤten des Pfiffes ertappe und wegſtoͤhre — er fragte ihn, „kennſt Du den kleinen Dienſt der Liebe voll¬ kommen?“ Kein Deutſcher verſtand Metaphern we¬ niger als er. „Ich meine, fuhr er fort, kannſt B

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/53>, abgerufen am 01.05.2024.