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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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nen Trauerzügen nachgespiegelt: "o blicke her (sag¬
te er in einem andern Tone;) ich soll diesem ge¬
mahlten Fremden so ähnlich sehen, sein Gesicht
lächelt in Einem fort, schau aber in meines!" --
und er richtete es auf und weit ofne aber in Thrä¬
nen schwimmende Augen und zuckende Lippen wa¬
ren darauf. -- -- Die Fluth der Liebe nahm bei¬
de in fester Umfassung hinweg und hob sie -- und
als Amandus erst darnach seine halbeifersüchtige
Frage: "er habe geglaubt, das Portrait sei Gu¬
stavs" mit Nein und mit der ganzen Geschichte be¬
antwortet erhielt; wars ohne allen Schaden: denn
die Bewegungen seiner zogen schon wieder im Bet¬
te der Freundschaft hin.

Nach solchen Erweiterungen der Seele bietet
eine Stube keine angemessene Gegenstände an; sie
suchten sie also unter dem Deckengemählde, von
dem nicht ein gemahlter sondern ein lebendiger
Himmel, nicht Farbenkörner sondern brennende
und verkohlte Welten niederhängen und giengen
hinaus ins stille Land, das keine halbe Stunde
von Scheerau liegt. Ach sie hättens nicht thun
sollen, wenn sie ausgesöhnet bleiben wolten!

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nen Trauerzuͤgen nachgeſpiegelt: „o blicke her (ſag¬
te er in einem andern Tone;) ich ſoll dieſem ge¬
mahlten Fremden ſo aͤhnlich ſehen, ſein Geſicht
laͤchelt in Einem fort, ſchau aber in meines!“ —
und er richtete es auf und weit ofne aber in Thraͤ¬
nen ſchwimmende Augen und zuckende Lippen wa¬
ren darauf. — — Die Fluth der Liebe nahm bei¬
de in feſter Umfaſſung hinweg und hob ſie — und
als Amandus erſt darnach ſeine halbeiferſuͤchtige
Frage: „er habe geglaubt, das Portrait ſei Gu¬
ſtavs“ mit Nein und mit der ganzen Geſchichte be¬
antwortet erhielt; wars ohne allen Schaden: denn
die Bewegungen ſeiner zogen ſchon wieder im Bet¬
te der Freundſchaft hin.

Nach ſolchen Erweiterungen der Seele bietet
eine Stube keine angemeſſene Gegenſtaͤnde an; ſie
ſuchten ſie alſo unter dem Deckengemaͤhlde, von
dem nicht ein gemahlter ſondern ein lebendiger
Himmel, nicht Farbenkoͤrner ſondern brennende
und verkohlte Welten niederhaͤngen und giengen
hinaus ins ſtille Land, das keine halbe Stunde
von Scheerau liegt. Ach ſie haͤttens nicht thun
ſollen, wenn ſie ausgeſoͤhnet bleiben wolten!

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[321/0357] nen Trauerzuͤgen nachgeſpiegelt: „o blicke her (ſag¬ te er in einem andern Tone;) ich ſoll dieſem ge¬ mahlten Fremden ſo aͤhnlich ſehen, ſein Geſicht laͤchelt in Einem fort, ſchau aber in meines!“ — und er richtete es auf und weit ofne aber in Thraͤ¬ nen ſchwimmende Augen und zuckende Lippen wa¬ ren darauf. — — Die Fluth der Liebe nahm bei¬ de in feſter Umfaſſung hinweg und hob ſie — und als Amandus erſt darnach ſeine halbeiferſuͤchtige Frage: „er habe geglaubt, das Portrait ſei Gu¬ ſtavs“ mit Nein und mit der ganzen Geſchichte be¬ antwortet erhielt; wars ohne allen Schaden: denn die Bewegungen ſeiner zogen ſchon wieder im Bet¬ te der Freundſchaft hin. Nach ſolchen Erweiterungen der Seele bietet eine Stube keine angemeſſene Gegenſtaͤnde an; ſie ſuchten ſie alſo unter dem Deckengemaͤhlde, von dem nicht ein gemahlter ſondern ein lebendiger Himmel, nicht Farbenkoͤrner ſondern brennende und verkohlte Welten niederhaͤngen und giengen hinaus ins ſtille Land, das keine halbe Stunde von Scheerau liegt. Ach ſie haͤttens nicht thun ſollen, wenn ſie ausgeſoͤhnet bleiben wolten! X

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/357>, abgerufen am 27.11.2024.