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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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nach dem zweiten: seinen Geist ziehen Gei¬
ster und Körper. So wird der Mond von
der Sonne und Erde zugleich gezogen, aber
die Erde legt ihm ihre Ketten an und die Son¬
ne zwingt ihn bloß zu Ausweichungen. Diesen
Widerstreit, den kein Sterblicher beilegt, wirst
du, geliebter Leser, auch in diesen Blät¬
tern finden; aber vergieb ihn mir wie ich dir.
Und eben so habe für unverhältnismäßige Aus¬
bildung die Nachsicht des Menschenkenners. Ei¬
ne unsichtbare Hand legt den Stimmhammer
an den Menschen und seine Kräfte -- sie über¬
schraubt, sie erschlaft Saiten -- oft zersprengt
sie die feinsten am ersten -- nicht oft nimmt sie
einen eilenden Accord aus ihnen -- endlich wenn
sie alle Kräfte auf die Tonleiter der Melodie
gehoben: so trägt sie die melodische Seele in
ein höheres Konzert und diese hat dann hienie¬
den nur wenig getönet. -- -- --

. . . . Ich schrieb jezt eine Stunde nicht:
ich bin nun auf dem Schneeberg, aber noch in
der Sänfte. Erhabne Paradiese liegen um mich

nach dem zweiten: ſeinen Geiſt ziehen Gei¬
ſter und Koͤrper. So wird der Mond von
der Sonne und Erde zugleich gezogen, aber
die Erde legt ihm ihre Ketten an und die Son¬
ne zwingt ihn bloß zu Ausweichungen. Dieſen
Widerſtreit, den kein Sterblicher beilegt, wirſt
du, geliebter Leſer, auch in dieſen Blaͤt¬
tern finden; aber vergieb ihn mir wie ich dir.
Und eben ſo habe fuͤr unverhaͤltnismaͤßige Aus¬
bildung die Nachſicht des Menſchenkenners. Ei¬
ne unſichtbare Hand legt den Stimmhammer
an den Menſchen und ſeine Kraͤfte — ſie uͤber¬
ſchraubt, ſie erſchlaft Saiten — oft zerſprengt
ſie die feinſten am erſten — nicht oft nimmt ſie
einen eilenden Accord aus ihnen — endlich wenn
ſie alle Kraͤfte auf die Tonleiter der Melodie
gehoben: ſo traͤgt ſie die melodiſche Seele in
ein hoͤheres Konzert und dieſe hat dann hienie¬
den nur wenig getoͤnet. — — —

. . . . Ich ſchrieb jezt eine Stunde nicht:
ich bin nun auf dem Schneeberg, aber noch in
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[XX/0032] nach dem zweiten: ſeinen Geiſt ziehen Gei¬ ſter und Koͤrper. So wird der Mond von der Sonne und Erde zugleich gezogen, aber die Erde legt ihm ihre Ketten an und die Son¬ ne zwingt ihn bloß zu Ausweichungen. Dieſen Widerſtreit, den kein Sterblicher beilegt, wirſt du, geliebter Leſer, auch in dieſen Blaͤt¬ tern finden; aber vergieb ihn mir wie ich dir. Und eben ſo habe fuͤr unverhaͤltnismaͤßige Aus¬ bildung die Nachſicht des Menſchenkenners. Ei¬ ne unſichtbare Hand legt den Stimmhammer an den Menſchen und ſeine Kraͤfte — ſie uͤber¬ ſchraubt, ſie erſchlaft Saiten — oft zerſprengt ſie die feinſten am erſten — nicht oft nimmt ſie einen eilenden Accord aus ihnen — endlich wenn ſie alle Kraͤfte auf die Tonleiter der Melodie gehoben: ſo traͤgt ſie die melodiſche Seele in ein hoͤheres Konzert und dieſe hat dann hienie¬ den nur wenig getoͤnet. — — — . . . . Ich ſchrieb jezt eine Stunde nicht: ich bin nun auf dem Schneeberg, aber noch in der Saͤnfte. Erhabne Paradieſe liegen um mich

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/32>, abgerufen am 28.03.2024.