Zorns. Spät unter diesem Rauschen sagt' er end¬ lich drohend: "du weißt, Frau . . ." Nun wur¬ de in ihrem Mund' aus dem Wind ein Sturm. Er war kein Mann, den Zorn oder irgend eine Leidenschaft fortrissen, sondern ein ächter Stoi¬ ker war er und stets bei sich; daraus läßet sichs erklären, warum er, da Epiktet und Seneka Stoi¬ kern den verbotnen innern Zorn durch den äußern Schein desselben zu ersetzen rathen, um die Leute zu bändigen, sich sogar dieses zornigen Scheins befliß und gelassen seine Faust petrifizierte und die¬ sen Knauf als eine Leuchtkugel auf diejenigen Gliedmaßen seiner Gattin warf, die ohne Licht in der Sache waren. Dieser stumpfe Wilson'sche Knopfableiter ihres Zorns zog erst die grösten be¬ redten Funken aus ihr hervor; und in der That ists in der Ehe wie in den alten Republiken, die (nach Homer's Bemerkung) nie größere Redner trugen als in stürmenden kriegerischen Zeiten. Er machte das Sinnliche bloß zum Vehikel des Geisti¬ gen und begleitete seine Hand mit ausgewählten Bruchstücken aus Epiktets Handbuch: "ich bin war¬ lich ganz bei mir (sagt' er;) aber du schreiest gar zu sehr, wenn ich mich nicht drein schlage." Sein
Zorns. Spaͤt unter dieſem Rauſchen ſagt' er end¬ lich drohend: „du weißt, Frau . . .“ Nun wur¬ de in ihrem Mund' aus dem Wind ein Sturm. Er war kein Mann, den Zorn oder irgend eine Leidenſchaft fortriſſen, ſondern ein aͤchter Stoi¬ ker war er und ſtets bei ſich; daraus laͤßet ſichs erklaͤren, warum er, da Epiktet und Seneka Stoi¬ kern den verbotnen innern Zorn durch den aͤußern Schein deſſelben zu erſetzen rathen, um die Leute zu baͤndigen, ſich ſogar dieſes zornigen Scheins befliß und gelaſſen ſeine Fauſt petrifizierte und die¬ ſen Knauf als eine Leuchtkugel auf diejenigen Gliedmaßen ſeiner Gattin warf, die ohne Licht in der Sache waren. Dieſer ſtumpfe Wilſon'ſche Knopfableiter ihres Zorns zog erſt die groͤſten be¬ redten Funken aus ihr hervor; und in der That iſts in der Ehe wie in den alten Republiken, die (nach Homer's Bemerkung) nie groͤßere Redner trugen als in ſtuͤrmenden kriegeriſchen Zeiten. Er machte das Sinnliche bloß zum Vehikel des Geiſti¬ gen und begleitete ſeine Hand mit ausgewaͤhlten Bruchſtuͤcken aus Epiktets Handbuch: „ich bin war¬ lich ganz bei mir (ſagt' er;) aber du ſchreieſt gar zu ſehr, wenn ich mich nicht drein ſchlage.“ Sein
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Zorns. Spaͤt unter dieſem Rauſchen ſagt' er end¬
lich drohend: „du weißt, Frau . . .“ Nun wur¬
de in ihrem Mund' aus dem Wind ein Sturm.
Er war kein Mann, den Zorn oder irgend eine
Leidenſchaft fortriſſen, ſondern ein aͤchter Stoi¬
ker war er und ſtets bei ſich; daraus laͤßet ſichs
erklaͤren, warum er, da Epiktet und Seneka Stoi¬
kern den verbotnen innern Zorn durch den aͤußern
Schein deſſelben zu erſetzen rathen, um die Leute
zu baͤndigen, ſich ſogar dieſes zornigen Scheins
befliß und gelaſſen ſeine Fauſt petrifizierte und die¬
ſen Knauf als eine Leuchtkugel auf diejenigen
Gliedmaßen ſeiner Gattin warf, die ohne Licht in
der Sache waren. Dieſer ſtumpfe Wilſon'ſche
Knopfableiter ihres Zorns zog erſt die groͤſten be¬
redten Funken aus ihr hervor; und in der That
iſts in der Ehe wie in den alten Republiken, die
(nach Homer's Bemerkung) nie groͤßere Redner
trugen als in ſtuͤrmenden kriegeriſchen Zeiten. Er
machte das Sinnliche bloß zum Vehikel des Geiſti¬
gen und begleitete ſeine Hand mit ausgewaͤhlten
Bruchſtuͤcken aus Epiktets Handbuch: „ich bin war¬
lich ganz bei mir (ſagt' er;) aber du ſchreieſt gar
zu ſehr, wenn ich mich nicht drein ſchlage.“ Sein
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/203>, abgerufen am 03.05.2024.
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