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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Am andern Tage nahm sie ein sonderbarer Zu¬
fall wieder auseinander. Der Rittmeister führte
sie durch alle Gassen der Stadt wie durch eine Bil¬
dergallerie und hielt endlich mit den zwei Herzens¬
milchbrüdern vor seines Freundes, des D. Fenks
Hause still, und sah sehnend das Gemählde dessel¬
ben an -- es bildete eine Doktors Kutsche vor mit
einem Arzt innen, mit dem Tode vorn, der in
die Gabel eingespannt war, und mit dem Teufel
oben, der auf dem Bock saß. -- "Der gute Narr,
dacht' er, könnt' auch einmal aus seinem Italien
abziehen und seinen Freunden eine Freude machen!"
Denn er wuste von seiner Ankunft nichts. "Man¬
dus! Mandus! lauf' rauf!" schrie plötzlich ein
zappelndes Mädgen oben und kam selber gesprun¬
gen und zerrte und guckte am Kleinen. Der gut¬
müthige Rittmeister wanderte gern aus dem gros¬
sen Parterre den Kindern nach ins vertraute Haus
und seine Verwunderung über alle Zeichen der
Rückkehr Fenks endigte nichts als der hereinbre¬
chende Doktor selbst. Dieser prallte vom halben
Wege zu seiner Umarmung auf den kleinen Blin¬
den zurück und riß unter Thränen und Küssen die
Bandage auf -- besah sie lange am Fenster -- und

Am andern Tage nahm ſie ein ſonderbarer Zu¬
fall wieder auseinander. Der Rittmeiſter fuͤhrte
ſie durch alle Gaſſen der Stadt wie durch eine Bil¬
dergallerie und hielt endlich mit den zwei Herzens¬
milchbruͤdern vor ſeines Freundes, des D. Fenks
Hauſe ſtill, und ſah ſehnend das Gemaͤhlde deſſel¬
ben an — es bildete eine Doktors Kutſche vor mit
einem Arzt innen, mit dem Tode vorn, der in
die Gabel eingeſpannt war, und mit dem Teufel
oben, der auf dem Bock ſaß. — „Der gute Narr,
dacht' er, koͤnnt' auch einmal aus ſeinem Italien
abziehen und ſeinen Freunden eine Freude machen!”
Denn er wuſte von ſeiner Ankunft nichts. „Man¬
dus! Mandus! lauf' rauf!” ſchrie ploͤtzlich ein
zappelndes Maͤdgen oben und kam ſelber geſprun¬
gen und zerrte und guckte am Kleinen. Der gut¬
muͤthige Rittmeiſter wanderte gern aus dem groſ¬
ſen Parterre den Kindern nach ins vertraute Haus
und ſeine Verwunderung uͤber alle Zeichen der
Ruͤckkehr Fenks endigte nichts als der hereinbre¬
chende Doktor ſelbſt. Dieſer prallte vom halben
Wege zu ſeiner Umarmung auf den kleinen Blin¬
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[122/0158] Am andern Tage nahm ſie ein ſonderbarer Zu¬ fall wieder auseinander. Der Rittmeiſter fuͤhrte ſie durch alle Gaſſen der Stadt wie durch eine Bil¬ dergallerie und hielt endlich mit den zwei Herzens¬ milchbruͤdern vor ſeines Freundes, des D. Fenks Hauſe ſtill, und ſah ſehnend das Gemaͤhlde deſſel¬ ben an — es bildete eine Doktors Kutſche vor mit einem Arzt innen, mit dem Tode vorn, der in die Gabel eingeſpannt war, und mit dem Teufel oben, der auf dem Bock ſaß. — „Der gute Narr, dacht' er, koͤnnt' auch einmal aus ſeinem Italien abziehen und ſeinen Freunden eine Freude machen!” Denn er wuſte von ſeiner Ankunft nichts. „Man¬ dus! Mandus! lauf' rauf!” ſchrie ploͤtzlich ein zappelndes Maͤdgen oben und kam ſelber geſprun¬ gen und zerrte und guckte am Kleinen. Der gut¬ muͤthige Rittmeiſter wanderte gern aus dem groſ¬ ſen Parterre den Kindern nach ins vertraute Haus und ſeine Verwunderung uͤber alle Zeichen der Ruͤckkehr Fenks endigte nichts als der hereinbre¬ chende Doktor ſelbſt. Dieſer prallte vom halben Wege zu ſeiner Umarmung auf den kleinen Blin¬ den zuruͤck und riß unter Thraͤnen und Kuͤſſen die Bandage auf — beſah ſie lange am Fenſter — und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/158>, abgerufen am 28.11.2024.