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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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zen dieser Stichwunden. Gegen keine Gemüthser¬
schütterung ist ein guter Gegenbeweis so schwer zu
führen als gegen die Angst; ich führe daher gar
keinen seit Jahr und Tag, sondern ich gebe ihr
das Aergste, was sie behauptet, sofort gerne zu,
und falle dann bloß die andere Gemüthsbewegung,
die aus dem besorgten Aergsten kommen kann, mit
der Frage an: "und wenn's wär?"

Jeder Fliegenschwamm im Walde wurde breit
getreten und jeder Baumspecht aufgejagt, um den
Kopf zum Hut zu finden -- aber vergeblich -- und
am dritten Tage gieng der Rittmeister, dessen Ge¬
sicht eine Aezplatte des Schmerzes war, ohne Ab¬
sicht zu suchen so vertieft im Walde herum, daß er
einen mit Koffern und Bedienten, ausgelegten Rei¬
sewagen durchs Gebüsch schwerlich hätte fliegen sehen,
wenn nicht daraus wie ein Freuden-Donnerschlag
die Stimme seines verlohrenen Sohnes ihn erschüt¬
tert hätte. Er rennt nach, der Wagen schießet vor¬
aus und im Freien sieht er ihn schon hinter seinem
Schlosse stäuben. Außer sich kommt er in Schloshof
angestürmt, um nachzusprengen und um es -- blei¬
ben zu lassen. Denn oben an der Hausthüre stand
die in einen Globus zusammengelaufne Schlos-Ge¬

zen dieſer Stichwunden. Gegen keine Gemuͤthser¬
ſchuͤtterung iſt ein guter Gegenbeweis ſo ſchwer zu
fuͤhren als gegen die Angſt; ich fuͤhre daher gar
keinen ſeit Jahr und Tag, ſondern ich gebe ihr
das Aergſte, was ſie behauptet, ſofort gerne zu,
und falle dann bloß die andere Gemuͤthsbewegung,
die aus dem beſorgten Aergſten kommen kann, mit
der Frage an: „und wenn's waͤr?“

Jeder Fliegenſchwamm im Walde wurde breit
getreten und jeder Baumſpecht aufgejagt, um den
Kopf zum Hut zu finden — aber vergeblich — und
am dritten Tage gieng der Rittmeiſter, deſſen Ge¬
ſicht eine Aezplatte des Schmerzes war, ohne Ab¬
ſicht zu ſuchen ſo vertieft im Walde herum, daß er
einen mit Koffern und Bedienten, ausgelegten Rei¬
ſewagen durchs Gebuͤſch ſchwerlich haͤtte fliegen ſehen,
wenn nicht daraus wie ein Freuden-Donnerſchlag
die Stimme ſeines verlohrenen Sohnes ihn erſchuͤt¬
tert haͤtte. Er rennt nach, der Wagen ſchießet vor¬
aus und im Freien ſieht er ihn ſchon hinter ſeinem
Schloſſe ſtaͤuben. Außer ſich kommt er in Schloshof
angeſtuͤrmt, um nachzuſprengen und um es — blei¬
ben zu laſſen. Denn oben an der Hausthuͤre ſtand
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[68/0104] zen dieſer Stichwunden. Gegen keine Gemuͤthser¬ ſchuͤtterung iſt ein guter Gegenbeweis ſo ſchwer zu fuͤhren als gegen die Angſt; ich fuͤhre daher gar keinen ſeit Jahr und Tag, ſondern ich gebe ihr das Aergſte, was ſie behauptet, ſofort gerne zu, und falle dann bloß die andere Gemuͤthsbewegung, die aus dem beſorgten Aergſten kommen kann, mit der Frage an: „und wenn's waͤr?“ Jeder Fliegenſchwamm im Walde wurde breit getreten und jeder Baumſpecht aufgejagt, um den Kopf zum Hut zu finden — aber vergeblich — und am dritten Tage gieng der Rittmeiſter, deſſen Ge¬ ſicht eine Aezplatte des Schmerzes war, ohne Ab¬ ſicht zu ſuchen ſo vertieft im Walde herum, daß er einen mit Koffern und Bedienten, ausgelegten Rei¬ ſewagen durchs Gebuͤſch ſchwerlich haͤtte fliegen ſehen, wenn nicht daraus wie ein Freuden-Donnerſchlag die Stimme ſeines verlohrenen Sohnes ihn erſchuͤt¬ tert haͤtte. Er rennt nach, der Wagen ſchießet vor¬ aus und im Freien ſieht er ihn ſchon hinter ſeinem Schloſſe ſtaͤuben. Außer ſich kommt er in Schloshof angeſtuͤrmt, um nachzuſprengen und um es — blei¬ ben zu laſſen. Denn oben an der Hausthuͤre ſtand die in einen Globus zuſammengelaufne Schlos-Ge¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/104>, abgerufen am 28.04.2024.