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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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logismus mit den Füßen zerstampft; denn der Rhein
floß eine halbe Stunde vom Schlosse; aber hier
schloß in beiden die Angst, die weit tollere Sprün¬
ge thut als die Hoffnung. Ich rede hier deswegen
von einer andern Zeit, weil mir bekannt ist, wie
sonst der Rittmeister war: nämlich aus Mittlei¬
den aufgebracht gegen den Leidenden selber. Nie¬
mals z. B. fluchten seine Minen mehr gegen seine
Frau als wenn sie krank war (und ein einziges
schnelles Blutkügelchen stieß sie um) -- klagen soll¬
te sie dabei gar nicht -- war das, auch nicht seuf¬
zen -- war auch das, nur keine leidende Mine ma¬
chen -- gehorchte sie, überhaupt gar nicht krank
seyn. Er hatte die Thorheit der müßigen und vor¬
nehmen Leute, er wollte stets fröhlich seyn.

Hier aber, da einmal sein Glückstopf in Scher¬
ben lag, versüßete ein fremder Seufzer seinen eig¬
nen und seinen Zorn über das unachtsame Haus¬
personale und über den dürren Schwestern- und
Grummetschober.

Als das Kind die Nacht ausblieb und den gan¬
zen Vormittag und als man gar im Walde auf
der Chaussee sein Hütchen antraf: so verwandelten
sich die Stiche der Angst in das forteiternde Schmer¬

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logiſmus mit den Fuͤßen zerſtampft; denn der Rhein
floß eine halbe Stunde vom Schloſſe; aber hier
ſchloß in beiden die Angſt, die weit tollere Spruͤn¬
ge thut als die Hoffnung. Ich rede hier deswegen
von einer andern Zeit, weil mir bekannt iſt, wie
ſonſt der Rittmeiſter war: naͤmlich aus Mittlei¬
den aufgebracht gegen den Leidenden ſelber. Nie¬
mals z. B. fluchten ſeine Minen mehr gegen ſeine
Frau als wenn ſie krank war (und ein einziges
ſchnelles Blutkuͤgelchen ſtieß ſie um) — klagen ſoll¬
te ſie dabei gar nicht — war das, auch nicht ſeuf¬
zen — war auch das, nur keine leidende Mine ma¬
chen — gehorchte ſie, uͤberhaupt gar nicht krank
ſeyn. Er hatte die Thorheit der muͤßigen und vor¬
nehmen Leute, er wollte ſtets froͤhlich ſeyn.

Hier aber, da einmal ſein Gluͤckstopf in Scher¬
ben lag, verſuͤßete ein fremder Seufzer ſeinen eig¬
nen und ſeinen Zorn uͤber das unachtſame Haus¬
perſonale und uͤber den duͤrren Schweſtern- und
Grummetſchober.

Als das Kind die Nacht ausblieb und den gan¬
zen Vormittag und als man gar im Walde auf
der Chauſſee ſein Huͤtchen antraf: ſo verwandelten
ſich die Stiche der Angſt in das forteiternde Schmer¬

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[67/0103] logiſmus mit den Fuͤßen zerſtampft; denn der Rhein floß eine halbe Stunde vom Schloſſe; aber hier ſchloß in beiden die Angſt, die weit tollere Spruͤn¬ ge thut als die Hoffnung. Ich rede hier deswegen von einer andern Zeit, weil mir bekannt iſt, wie ſonſt der Rittmeiſter war: naͤmlich aus Mittlei¬ den aufgebracht gegen den Leidenden ſelber. Nie¬ mals z. B. fluchten ſeine Minen mehr gegen ſeine Frau als wenn ſie krank war (und ein einziges ſchnelles Blutkuͤgelchen ſtieß ſie um) — klagen ſoll¬ te ſie dabei gar nicht — war das, auch nicht ſeuf¬ zen — war auch das, nur keine leidende Mine ma¬ chen — gehorchte ſie, uͤberhaupt gar nicht krank ſeyn. Er hatte die Thorheit der muͤßigen und vor¬ nehmen Leute, er wollte ſtets froͤhlich ſeyn. Hier aber, da einmal ſein Gluͤckstopf in Scher¬ ben lag, verſuͤßete ein fremder Seufzer ſeinen eig¬ nen und ſeinen Zorn uͤber das unachtſame Haus¬ perſonale und uͤber den duͤrren Schweſtern- und Grummetſchober. Als das Kind die Nacht ausblieb und den gan¬ zen Vormittag und als man gar im Walde auf der Chauſſee ſein Huͤtchen antraf: ſo verwandelten ſich die Stiche der Angſt in das forteiternde Schmer¬ E 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/103>, abgerufen am 28.04.2024.