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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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nossenschaft schon um den Gustav, die Schloshunde
bellten ohne einen gescheuten Grund zu haben, und
alles sprach und fragte so, daß man gar keine Ant¬
wort des Kleinen vernahm. Der vorbeifliegende
Wagen hatte ihn ausgesetzt. Am Halse hieng in ei¬
nem schwarzen Bande sein Portrait. Seine Augen
waren roth und feucht von den Quaalen der Heim¬
sucht. Er erzählte von langen langen Häusern, wofür
er Gassen hielt, und von seinem Schwesterchen, das
mit ihm gespielet, und vom neuen Hute; es wär'
aber keine Seele daraus gescheut geworden, hätte
nicht der Koch eine entfallne Karte zu seinen Füßen
erblickt: diese las der Rittmeister und sah, daß er
sie nicht lesen sollte sondern seine Frau. Er vertiert'
es aus dem mit weiblicher Hand geschriebenen Ita¬
lienischen so:

"Kann sich denn eine Mutter bei einer Mutter
entschuldigen, daß sie ihr ihr Kind so lang entzo¬
gen? Wenn sie mir auch meinen Fehler nicht verge¬
ben: ich kann ihn doch nicht bereuen. Ich traf Ih¬
ren lieben Kleinen vor drei Tagen im Walde irrend
an, wo ich ihn in meinen Wagen stahl, um ihn vor
schlimmern Dieben zu bewahren und um seine El¬
tern auszufinden. -- Ach ich will es Ihnen nur

noſſenſchaft ſchon um den Guſtav, die Schloshunde
bellten ohne einen geſcheuten Grund zu haben, und
alles ſprach und fragte ſo, daß man gar keine Ant¬
wort des Kleinen vernahm. Der vorbeifliegende
Wagen hatte ihn ausgeſetzt. Am Halſe hieng in ei¬
nem ſchwarzen Bande ſein Portrait. Seine Augen
waren roth und feucht von den Quaalen der Heim¬
ſucht. Er erzaͤhlte von langen langen Haͤuſern, wofuͤr
er Gaſſen hielt, und von ſeinem Schweſterchen, das
mit ihm geſpielet, und vom neuen Hute; es waͤr'
aber keine Seele daraus geſcheut geworden, haͤtte
nicht der Koch eine entfallne Karte zu ſeinen Fuͤßen
erblickt: dieſe las der Rittmeiſter und ſah, daß er
ſie nicht leſen ſollte ſondern ſeine Frau. Er vertiert'
es aus dem mit weiblicher Hand geſchriebenen Ita¬
lieniſchen ſo:

„Kann ſich denn eine Mutter bei einer Mutter
entſchuldigen, daß ſie ihr ihr Kind ſo lang entzo¬
gen? Wenn ſie mir auch meinen Fehler nicht verge¬
ben: ich kann ihn doch nicht bereuen. Ich traf Ih¬
ren lieben Kleinen vor drei Tagen im Walde irrend
an, wo ich ihn in meinen Wagen ſtahl, um ihn vor
ſchlimmern Dieben zu bewahren und um ſeine El¬
tern auszufinden. — Ach ich will es Ihnen nur

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[69/0105] noſſenſchaft ſchon um den Guſtav, die Schloshunde bellten ohne einen geſcheuten Grund zu haben, und alles ſprach und fragte ſo, daß man gar keine Ant¬ wort des Kleinen vernahm. Der vorbeifliegende Wagen hatte ihn ausgeſetzt. Am Halſe hieng in ei¬ nem ſchwarzen Bande ſein Portrait. Seine Augen waren roth und feucht von den Quaalen der Heim¬ ſucht. Er erzaͤhlte von langen langen Haͤuſern, wofuͤr er Gaſſen hielt, und von ſeinem Schweſterchen, das mit ihm geſpielet, und vom neuen Hute; es waͤr' aber keine Seele daraus geſcheut geworden, haͤtte nicht der Koch eine entfallne Karte zu ſeinen Fuͤßen erblickt: dieſe las der Rittmeiſter und ſah, daß er ſie nicht leſen ſollte ſondern ſeine Frau. Er vertiert' es aus dem mit weiblicher Hand geſchriebenen Ita¬ lieniſchen ſo: „Kann ſich denn eine Mutter bei einer Mutter entſchuldigen, daß ſie ihr ihr Kind ſo lang entzo¬ gen? Wenn ſie mir auch meinen Fehler nicht verge¬ ben: ich kann ihn doch nicht bereuen. Ich traf Ih¬ ren lieben Kleinen vor drei Tagen im Walde irrend an, wo ich ihn in meinen Wagen ſtahl, um ihn vor ſchlimmern Dieben zu bewahren und um ſeine El¬ tern auszufinden. — Ach ich will es Ihnen nur

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/105>, abgerufen am 21.11.2024.