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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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schen Thränen schwer in der übervollen Brust. Fla¬
mins Gesicht war nicht mit dem Panzer des Zorns,
sondern mit dem Leichenschleier des Kummers bedeckt.
Viktor bewillkomte ihn mit der sanften Stimme ei¬
nes gedrückten Herzens, aber dieser sagte alle Gedan¬
ken und Worte nur halb. Viktor schauete tief in
die Seele, die um die Freundschaft trauerte: denn
nur ein Herz sieht ein Herz, nur der große Mann
sieht große Männer, so wie man Berge nur auf
Bergen erblickt. Er hielt es daher für kein Zeichen
des Grolls, da Flamin langsam von ihm weg¬
ging; aber er mußte, so einsam da gelassen, seine
Augen von der geweihten Erde des Gartens, wo ih¬
re Freundschaft sonst die Blüten geöfnet hatte, und
von der Opferlaube, wo er bei seinem Vater für
Klotildens und Flamins Verknüpfung gesprochen,
und von der hohen Warte, dem Thabor der freund¬
schaftlichen Verklärung, von allen diesen Begräbni߬
stätten einer schönern Zeit mußt' er die Augen ab¬
wenden, um die ärmere zu ertragen. Allein das,
was er nicht anschauen wollte, stellte er sich desto
heller vor.

Jetzt dehnte die Gebet- und Abendglocke ihre
melancholischen Bebungen aus bis an die Herzen der
Menschen -- die vergangnen Zeiten schickten die Tö¬
ne und die Abendklagen sanken wie heisse Bitten,
in die getrennten Freunde: O söhnet euch aus und

ſchen Thraͤnen ſchwer in der uͤbervollen Bruſt. Fla¬
mins Geſicht war nicht mit dem Panzer des Zorns,
ſondern mit dem Leichenſchleier des Kummers bedeckt.
Viktor bewillkomte ihn mit der ſanften Stimme ei¬
nes gedruͤckten Herzens, aber dieſer ſagte alle Gedan¬
ken und Worte nur halb. Viktor ſchauete tief in
die Seele, die um die Freundſchaft trauerte: denn
nur ein Herz ſieht ein Herz, nur der große Mann
ſieht große Maͤnner, ſo wie man Berge nur auf
Bergen erblickt. Er hielt es daher fuͤr kein Zeichen
des Grolls, da Flamin langſam von ihm weg¬
ging; aber er mußte, ſo einſam da gelaſſen, ſeine
Augen von der geweihten Erde des Gartens, wo ih¬
re Freundſchaft ſonſt die Bluͤten geoͤfnet hatte, und
von der Opferlaube, wo er bei ſeinem Vater fuͤr
Klotildens und Flamins Verknuͤpfung geſprochen,
und von der hohen Warte, dem Thabor der freund¬
ſchaftlichen Verklaͤrung, von allen dieſen Begraͤbni߬
ſtaͤtten einer ſchoͤnern Zeit mußt' er die Augen ab¬
wenden, um die aͤrmere zu ertragen. Allein das,
was er nicht anſchauen wollte, ſtellte er ſich deſto
heller vor.

Jetzt dehnte die Gebet- und Abendglocke ihre
melancholiſchen Bebungen aus bis an die Herzen der
Menſchen — die vergangnen Zeiten ſchickten die Toͤ¬
ne und die Abendklagen ſanken wie heiſſe Bitten,
in die getrennten Freunde: O ſoͤhnet euch aus und

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[89/0099] ſchen Thraͤnen ſchwer in der uͤbervollen Bruſt. Fla¬ mins Geſicht war nicht mit dem Panzer des Zorns, ſondern mit dem Leichenſchleier des Kummers bedeckt. Viktor bewillkomte ihn mit der ſanften Stimme ei¬ nes gedruͤckten Herzens, aber dieſer ſagte alle Gedan¬ ken und Worte nur halb. Viktor ſchauete tief in die Seele, die um die Freundſchaft trauerte: denn nur ein Herz ſieht ein Herz, nur der große Mann ſieht große Maͤnner, ſo wie man Berge nur auf Bergen erblickt. Er hielt es daher fuͤr kein Zeichen des Grolls, da Flamin langſam von ihm weg¬ ging; aber er mußte, ſo einſam da gelaſſen, ſeine Augen von der geweihten Erde des Gartens, wo ih¬ re Freundſchaft ſonſt die Bluͤten geoͤfnet hatte, und von der Opferlaube, wo er bei ſeinem Vater fuͤr Klotildens und Flamins Verknuͤpfung geſprochen, und von der hohen Warte, dem Thabor der freund¬ ſchaftlichen Verklaͤrung, von allen dieſen Begraͤbni߬ ſtaͤtten einer ſchoͤnern Zeit mußt' er die Augen ab¬ wenden, um die aͤrmere zu ertragen. Allein das, was er nicht anſchauen wollte, ſtellte er ſich deſto heller vor. Jetzt dehnte die Gebet- und Abendglocke ihre melancholiſchen Bebungen aus bis an die Herzen der Menſchen — die vergangnen Zeiten ſchickten die Toͤ¬ ne und die Abendklagen ſanken wie heiſſe Bitten, in die getrennten Freunde: O ſoͤhnet euch aus und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/99>, abgerufen am 21.11.2024.