melblauen Eden unter der Gehirnschaale so gänzlich verstoßen -- daß er, je länger er dachte und lief, desto mehr aufschließen wollte. Er wollt es nämlich seinem Flamin sogar entdecken, daß er heute Nachts die Einladungskarte eigenhändig an den Blinden abge¬ reicht: durch eine Täuschung wurde ihm die Pfingst¬ reise durch die heutige zuläßiger und diesen eignen Gesichtspunkt sah er für einen fremden an.
Aber so weit trieb seine träumerische und nacht¬ trunkne Seele ihre gefährliche Ergießung nicht. Denn beim Eintritt zog ein Maifrost auf Flamins Gesicht den aufbrechenden Blütenkelch seines Her¬ zens ein wenig zusammen. Er bat Flamin mit sei¬ ner kontrastirenden Wärme des Gesichts um einen Spaziergang an diesem hellen Tage. Draussen wurde der Abstich noch schneidender, da Flamin sei¬ nen Spazierstock bis zum Knicken einstieß, Blumen köpfte, Laub abschlug, mit dem Stiefelabsatz Fußsta¬ pfen aushieb, indeß Viktor in Einem fort zu reden suchte, um seine Seele in der mit gebrachten Wärme Wärme zu erhalten.
Es freuet mich an ihm, daß er sein von den heu¬ tigen Entbehrungen mazerirtes überrinnendes Herz gerade in eines ergießen wollte, dem er die Entbeh¬ rungen schuld zu gehen hatte. Endlich sagte er, um das erschwerte Geständniß nur von der Seele zu werfen, eilend: "auf Pfingsten geh' ich nach Maien¬
melblauen Eden unter der Gehirnſchaale ſo gaͤnzlich verſtoßen — daß er, je laͤnger er dachte und lief, deſto mehr aufſchließen wollte. Er wollt es naͤmlich ſeinem Flamin ſogar entdecken, daß er heute Nachts die Einladungskarte eigenhaͤndig an den Blinden abge¬ reicht: durch eine Taͤuſchung wurde ihm die Pfingſt¬ reiſe durch die heutige zulaͤßiger und dieſen eignen Geſichtspunkt ſah er fuͤr einen fremden an.
Aber ſo weit trieb ſeine traͤumeriſche und nacht¬ trunkne Seele ihre gefaͤhrliche Ergießung nicht. Denn beim Eintritt zog ein Maifroſt auf Flamins Geſicht den aufbrechenden Bluͤtenkelch ſeines Her¬ zens ein wenig zuſammen. Er bat Flamin mit ſei¬ ner kontraſtirenden Waͤrme des Geſichts um einen Spaziergang an dieſem hellen Tage. Drauſſen wurde der Abſtich noch ſchneidender, da Flamin ſei¬ nen Spazierſtock bis zum Knicken einſtieß, Blumen koͤpfte, Laub abſchlug, mit dem Stiefelabſatz Fußſta¬ pfen aushieb, indeß Viktor in Einem fort zu reden ſuchte, um ſeine Seele in der mit gebrachten Waͤrme Waͤrme zu erhalten.
Es freuet mich an ihm, daß er ſein von den heu¬ tigen Entbehrungen mazerirtes uͤberrinnendes Herz gerade in eines ergießen wollte, dem er die Entbeh¬ rungen ſchuld zu gehen hatte. Endlich ſagte er, um das erſchwerte Geſtaͤndniß nur von der Seele zu werfen, eilend: »auf Pfingſten geh' ich nach Maien¬
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melblauen Eden unter der Gehirnſchaale ſo gaͤnzlich
verſtoßen — daß er, je laͤnger er dachte und lief,
deſto mehr aufſchließen wollte. Er wollt es naͤmlich
ſeinem Flamin ſogar entdecken, daß er heute Nachts
die Einladungskarte eigenhaͤndig an den Blinden abge¬
reicht: durch eine Taͤuſchung wurde ihm die Pfingſt¬
reiſe durch die heutige zulaͤßiger und dieſen eignen
Geſichtspunkt ſah er fuͤr einen fremden an.
Aber ſo weit trieb ſeine traͤumeriſche und nacht¬
trunkne Seele ihre gefaͤhrliche Ergießung nicht.
Denn beim Eintritt zog ein Maifroſt auf Flamins
Geſicht den aufbrechenden Bluͤtenkelch ſeines Her¬
zens ein wenig zuſammen. Er bat Flamin mit ſei¬
ner kontraſtirenden Waͤrme des Geſichts um einen
Spaziergang an dieſem hellen Tage. Drauſſen
wurde der Abſtich noch ſchneidender, da Flamin ſei¬
nen Spazierſtock bis zum Knicken einſtieß, Blumen
koͤpfte, Laub abſchlug, mit dem Stiefelabſatz Fußſta¬
pfen aushieb, indeß Viktor in Einem fort zu reden
ſuchte, um ſeine Seele in der mit gebrachten Waͤrme
Waͤrme zu erhalten.
Es freuet mich an ihm, daß er ſein von den heu¬
tigen Entbehrungen mazerirtes uͤberrinnendes Herz
gerade in eines ergießen wollte, dem er die Entbeh¬
rungen ſchuld zu gehen hatte. Endlich ſagte er, um
das erſchwerte Geſtaͤndniß nur von der Seele zu
werfen, eilend: »auf Pfingſten geh' ich nach Maien¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/82>, abgerufen am 21.11.2024.
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