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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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derspringt in eine künftige -- und wenn Gott auf
den Wasserfall sieht, so mahlt sich der Zirkel der
Ewigkeit als Regenbogen auf ihn und der Strom
verrückt den schwebenden Zirkel nicht. ...

Lasset uns wieder kleinere Gefühle suchen. Er
stand auf und wandelte im Gefühle der Unsterblich¬
keit durch das um ihn pulsirende Frühlingsleben
weiter; und er dachte, daß der Mensch mitten unter
den Beispielen der Unvergänglichkeit den Unterschied
zwischen seinem Schlaf und Wachen irrig zum Un¬
terschiede zwischen Sein und Nichtsein zerdehne.
Jetzt war seinen kräftigen strotzenden Gefühlen jedes
Getöse willkommen, das Schlagen der Eisenhämmer
in den Wäldern, das Rauschen der Frühlingswasser
und der Frühlingswinde und das aufprasselnde Reb¬
huhn. --

Um drei Uhr Morgens sah er Maienthal liegen.
Er trat auf den von fünf einzelnen Tannenbäumen
gehobnen Berg, auf dem man durch's ganze Dorf
und wieder hinüber zum andern Berge schauen kann,
wo die Trauerbirke seinen Emanuel beschattet. Die
überwachsene Zelle des letztern konnt' er nicht er¬
blicken; aber am Stifte, wo seine Freundin träum¬
te, schimmerten alle Fenster im ausfunkelnden Mon¬
denlicht. In seiner Brust war noch der Rausch der
Nacht und auf seinem Angesicht das Brennen der
Träume -- aber das Thal zog ihn in die Erde her¬

derſpringt in eine kuͤnftige — und wenn Gott auf
den Waſſerfall ſieht, ſo mahlt ſich der Zirkel der
Ewigkeit als Regenbogen auf ihn und der Strom
verruͤckt den ſchwebenden Zirkel nicht. ...

Laſſet uns wieder kleinere Gefuͤhle ſuchen. Er
ſtand auf und wandelte im Gefuͤhle der Unſterblich¬
keit durch das um ihn pulſirende Fruͤhlingsleben
weiter; und er dachte, daß der Menſch mitten unter
den Beiſpielen der Unvergaͤnglichkeit den Unterſchied
zwiſchen ſeinem Schlaf und Wachen irrig zum Un¬
terſchiede zwiſchen Sein und Nichtſein zerdehne.
Jetzt war ſeinen kraͤftigen ſtrotzenden Gefuͤhlen jedes
Getoͤſe willkommen, das Schlagen der Eiſenhaͤmmer
in den Waͤldern, das Rauſchen der Fruͤhlingswaſſer
und der Fruͤhlingswinde und das aufpraſſelnde Reb¬
huhn. —

Um drei Uhr Morgens ſah er Maienthal liegen.
Er trat auf den von fuͤnf einzelnen Tannenbaͤumen
gehobnen Berg, auf dem man durch's ganze Dorf
und wieder hinuͤber zum andern Berge ſchauen kann,
wo die Trauerbirke ſeinen Emanuel beſchattet. Die
uͤberwachſene Zelle des letztern konnt' er nicht er¬
blicken; aber am Stifte, wo ſeine Freundin traͤum¬
te, ſchimmerten alle Fenſter im ausfunkelnden Mon¬
denlicht. In ſeiner Bruſt war noch der Rauſch der
Nacht und auf ſeinem Angeſicht das Brennen der
Traͤume — aber das Thal zog ihn in die Erde her¬

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[66/0076] derſpringt in eine kuͤnftige — und wenn Gott auf den Waſſerfall ſieht, ſo mahlt ſich der Zirkel der Ewigkeit als Regenbogen auf ihn und der Strom verruͤckt den ſchwebenden Zirkel nicht. ... Laſſet uns wieder kleinere Gefuͤhle ſuchen. Er ſtand auf und wandelte im Gefuͤhle der Unſterblich¬ keit durch das um ihn pulſirende Fruͤhlingsleben weiter; und er dachte, daß der Menſch mitten unter den Beiſpielen der Unvergaͤnglichkeit den Unterſchied zwiſchen ſeinem Schlaf und Wachen irrig zum Un¬ terſchiede zwiſchen Sein und Nichtſein zerdehne. Jetzt war ſeinen kraͤftigen ſtrotzenden Gefuͤhlen jedes Getoͤſe willkommen, das Schlagen der Eiſenhaͤmmer in den Waͤldern, das Rauſchen der Fruͤhlingswaſſer und der Fruͤhlingswinde und das aufpraſſelnde Reb¬ huhn. — Um drei Uhr Morgens ſah er Maienthal liegen. Er trat auf den von fuͤnf einzelnen Tannenbaͤumen gehobnen Berg, auf dem man durch's ganze Dorf und wieder hinuͤber zum andern Berge ſchauen kann, wo die Trauerbirke ſeinen Emanuel beſchattet. Die uͤberwachſene Zelle des letztern konnt' er nicht er¬ blicken; aber am Stifte, wo ſeine Freundin traͤum¬ te, ſchimmerten alle Fenſter im ausfunkelnden Mon¬ denlicht. In ſeiner Bruſt war noch der Rauſch der Nacht und auf ſeinem Angeſicht das Brennen der Traͤume — aber das Thal zog ihn in die Erde her¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/76>, abgerufen am 06.05.2024.