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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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aus und gab seinen Freudenblumen bloß einen fe¬
stern
Boden; und der Morgenwind kühlte seinen
Athem und der Thau seine Wangen ab. Die Thrä¬
nen stiegen in seine Augen, als sie auf die weiß ver¬
hangnen Fenster fielen, hinter denen eine schöne, eine
weise, eine geliebte und eine liebende Seele ihre un¬
schuldigen Morgenträume vollendete. Ach, es träu¬
me dir, Klotilde, von deinem Freunde, daß er dir
nahe ist, daß er seine überströmenden Augen auf
deine Zelle wendet und daß er verschwindet wenn du
erscheinst und daß er doch seeliger werde von Mi¬
nute zu Minute -- ach er träumt ja auch und wenn
die Sonne aufgeht, ist das geliebte Thal wie dein
Traum mit dem Sternenhimmel versunken. -- O
die Berge, die Wälder, hinter denen eine geliebte
Seele wohnt, die Mauern, die sie umschließen,
schauen den Menschen mit einem rührenden Zauber
an und hängen vor ihm wie holde Vorhänge der Zu¬
kunft und Vergangenheit. --

Mit jedem Sterne, der oben im Himmel zurück¬
sank, wachte unten auf der Erde eine Blume auf --
Der Weg von der Nacht zum Tage wurde schon
mit Halbfarben belegt -- kleine Nebel stiegen an der
Küste des Tages auf -- und Viktor war noch auf
dem Berge. Sein Besorgniß, daß sich die weisse
Fensterhülle rege und ihn zeige, war so groß wie
sein Wunsch, daß die Besorgniß immer größer wer¬

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aus und gab ſeinen Freudenblumen bloß einen fe¬
ſtern
Boden; und der Morgenwind kuͤhlte ſeinen
Athem und der Thau ſeine Wangen ab. Die Thraͤ¬
nen ſtiegen in ſeine Augen, als ſie auf die weiß ver¬
hangnen Fenſter fielen, hinter denen eine ſchoͤne, eine
weiſe, eine geliebte und eine liebende Seele ihre un¬
ſchuldigen Morgentraͤume vollendete. Ach, es traͤu¬
me dir, Klotilde, von deinem Freunde, daß er dir
nahe iſt, daß er ſeine uͤberſtroͤmenden Augen auf
deine Zelle wendet und daß er verſchwindet wenn du
erſcheinſt und daß er doch ſeeliger werde von Mi¬
nute zu Minute — ach er traͤumt ja auch und wenn
die Sonne aufgeht, iſt das geliebte Thal wie dein
Traum mit dem Sternenhimmel verſunken. — O
die Berge, die Waͤlder, hinter denen eine geliebte
Seele wohnt, die Mauern, die ſie umſchließen,
ſchauen den Menſchen mit einem ruͤhrenden Zauber
an und haͤngen vor ihm wie holde Vorhaͤnge der Zu¬
kunft und Vergangenheit. —

Mit jedem Sterne, der oben im Himmel zuruͤck¬
ſank, wachte unten auf der Erde eine Blume auf —
Der Weg von der Nacht zum Tage wurde ſchon
mit Halbfarben belegt — kleine Nebel ſtiegen an der
Kuͤſte des Tages auf — und Viktor war noch auf
dem Berge. Sein Beſorgniß, daß ſich die weiſſe
Fenſterhuͤlle rege und ihn zeige, war ſo groß wie
ſein Wunſch, daß die Beſorgniß immer groͤßer wer¬

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[67/0077] aus und gab ſeinen Freudenblumen bloß einen fe¬ ſtern Boden; und der Morgenwind kuͤhlte ſeinen Athem und der Thau ſeine Wangen ab. Die Thraͤ¬ nen ſtiegen in ſeine Augen, als ſie auf die weiß ver¬ hangnen Fenſter fielen, hinter denen eine ſchoͤne, eine weiſe, eine geliebte und eine liebende Seele ihre un¬ ſchuldigen Morgentraͤume vollendete. Ach, es traͤu¬ me dir, Klotilde, von deinem Freunde, daß er dir nahe iſt, daß er ſeine uͤberſtroͤmenden Augen auf deine Zelle wendet und daß er verſchwindet wenn du erſcheinſt und daß er doch ſeeliger werde von Mi¬ nute zu Minute — ach er traͤumt ja auch und wenn die Sonne aufgeht, iſt das geliebte Thal wie dein Traum mit dem Sternenhimmel verſunken. — O die Berge, die Waͤlder, hinter denen eine geliebte Seele wohnt, die Mauern, die ſie umſchließen, ſchauen den Menſchen mit einem ruͤhrenden Zauber an und haͤngen vor ihm wie holde Vorhaͤnge der Zu¬ kunft und Vergangenheit. — Mit jedem Sterne, der oben im Himmel zuruͤck¬ ſank, wachte unten auf der Erde eine Blume auf — Der Weg von der Nacht zum Tage wurde ſchon mit Halbfarben belegt — kleine Nebel ſtiegen an der Kuͤſte des Tages auf — und Viktor war noch auf dem Berge. Sein Beſorgniß, daß ſich die weiſſe Fenſterhuͤlle rege und ihn zeige, war ſo groß wie ſein Wunſch, daß die Beſorgniß immer groͤßer wer¬ E2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/77>, abgerufen am 06.05.2024.