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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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"aber dann wenn du mir keine ertheilst, so schleu¬
"dere ich mich hinunter, damit mich nur der Teufel
"holt." -- Sonderbar! dieses Erpressen der Ver¬
zeihung zog Viktors offne Seele ein wenig zusam¬
men; aber er umfaßte doch den freundschaftlichen
Wilden und sagte mit der milden Stimme der stil¬
len Liebe: "aus dem Grunde der Seele hab' ich dir
"heute vergeben; aber geliebt hab' ich dich immer
"und allezeit und in wenig Wochen würd' ich für dich
"gestorben seyn, um dein Leben zu retten." -- Jetzt
traten ihre Seelen nahe und unverhüllt vor einander
und deckten ihr Leben auf -- -- und da sich beide
alles erzählt hatten und als Viktor ihm eröffnet hat¬
te, daß er an seine Stelle eingerückt und der Sohn
der beraubten Mutter geworden sei: so wollte Fla¬
min vor Reue vergehen, und drückte verschämt sein
Angesicht tiefer nur an Viktors Brust -- und ihre
Seelen feierten neuvermählt auf dem Traualtar der
Warte ihre Silberhochzeit unter der Brautfackel des
Mondes und ihre Seligkeit wurde von nichts erreicht
als von ihrer Freundschaft.

Sie wandelten im zärtlichen Taumel langsam in
Le Bauts Garten und der Strom der Wonne wurde
immer tiefer; aber eiskalte Wellen wie vom Flusse
Styx erschreckten plötzlich den sanft erwärmten Vik¬
tor, da er in die Trauerlaube kam, wo er gerade
heute vor einem Jahre am 21. Oktober -- also ist

»aber dann wenn du mir keine ertheilſt, ſo ſchleu¬
»dere ich mich hinunter, damit mich nur der Teufel
»holt.« — Sonderbar! dieſes Erpreſſen der Ver¬
zeihung zog Viktors offne Seele ein wenig zuſam¬
men; aber er umfaßte doch den freundſchaftlichen
Wilden und ſagte mit der milden Stimme der ſtil¬
len Liebe: »aus dem Grunde der Seele hab' ich dir
»heute vergeben; aber geliebt hab' ich dich immer
»und allezeit und in wenig Wochen wuͤrd' ich fuͤr dich
»geſtorben ſeyn, um dein Leben zu retten.« — Jetzt
traten ihre Seelen nahe und unverhuͤllt vor einander
und deckten ihr Leben auf — — und da ſich beide
alles erzaͤhlt hatten und als Viktor ihm eroͤffnet hat¬
te, daß er an ſeine Stelle eingeruͤckt und der Sohn
der beraubten Mutter geworden ſei: ſo wollte Fla¬
min vor Reue vergehen, und druͤckte verſchaͤmt ſein
Angeſicht tiefer nur an Viktors Bruſt — und ihre
Seelen feierten neuvermaͤhlt auf dem Traualtar der
Warte ihre Silberhochzeit unter der Brautfackel des
Mondes und ihre Seligkeit wurde von nichts erreicht
als von ihrer Freundſchaft.

Sie wandelten im zaͤrtlichen Taumel langſam in
Le Bauts Garten und der Strom der Wonne wurde
immer tiefer; aber eiskalte Wellen wie vom Fluſſe
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[402/0412] »aber dann wenn du mir keine ertheilſt, ſo ſchleu¬ »dere ich mich hinunter, damit mich nur der Teufel »holt.« — Sonderbar! dieſes Erpreſſen der Ver¬ zeihung zog Viktors offne Seele ein wenig zuſam¬ men; aber er umfaßte doch den freundſchaftlichen Wilden und ſagte mit der milden Stimme der ſtil¬ len Liebe: »aus dem Grunde der Seele hab' ich dir »heute vergeben; aber geliebt hab' ich dich immer »und allezeit und in wenig Wochen wuͤrd' ich fuͤr dich »geſtorben ſeyn, um dein Leben zu retten.« — Jetzt traten ihre Seelen nahe und unverhuͤllt vor einander und deckten ihr Leben auf — — und da ſich beide alles erzaͤhlt hatten und als Viktor ihm eroͤffnet hat¬ te, daß er an ſeine Stelle eingeruͤckt und der Sohn der beraubten Mutter geworden ſei: ſo wollte Fla¬ min vor Reue vergehen, und druͤckte verſchaͤmt ſein Angeſicht tiefer nur an Viktors Bruſt — und ihre Seelen feierten neuvermaͤhlt auf dem Traualtar der Warte ihre Silberhochzeit unter der Brautfackel des Mondes und ihre Seligkeit wurde von nichts erreicht als von ihrer Freundſchaft. Sie wandelten im zaͤrtlichen Taumel langſam in Le Bauts Garten und der Strom der Wonne wurde immer tiefer; aber eiskalte Wellen wie vom Fluſſe Styx erſchreckten ploͤtzlich den ſanft erwaͤrmten Vik¬ tor, da er in die Trauerlaube kam, wo er gerade heute vor einem Jahre am 21. Oktober — alſo iſt

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/412>, abgerufen am 16.07.2024.