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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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Schwäche gewesen, daß das erfrorne Glied der
Freundschaft, sein Herz, ein wenig kälter und un¬
empfindlicher gegen Flamin geworden war, da er des¬
sen Rettung aus dem Gefängniß vernahm -- aber es
war jetzt Abends menschliche Güte, daß Flamins
großer Entschluß zu sterben, wie eine russische Frost¬
salbe seinem starren Herzen Wärme und Bewegung
wiedergab. Sein Inneres regte sich gewaltsam, quoll
auf, überströmte den erdrückten Groll und das Bild
des Jugendfreundes stand auf und sagte: "Viktor,
"gieb dem Schuldfreund wieder deine Hand -- o er
"hat so viel gelitten, und so edel gehandelt." Thrä¬
nen schossen ihm aus den zuckenden Augen, als er
sich jetzt entschloß, auf die Warte zu gehen und
zum alten Liebling zu sagen: "es sei vergessen --
"komm' wir wollen mit einander zu deiner Schwester
"gehen." Er gieng allein auf die Warte, um ihn
nachher der Lady vorzustellen. Die Pfarrerin sprang
einige Minuten von Viktor ab, um seine zwei
Schwester zu benachrichtigen und zu bringen und den
blinden Julius aus der Stadt führen zu lassen, da¬
mit in der goldnen Halskette der Liebe kein Gelenk
abgienge.

Welche Himmelsleiter, in der jede Minute eine
höhere Sprosse ist, steht in dieser Nacht auf der

wan¬

Schwaͤche geweſen, daß das erfrorne Glied der
Freundſchaft, ſein Herz, ein wenig kaͤlter und un¬
empfindlicher gegen Flamin geworden war, da er deſ¬
ſen Rettung aus dem Gefaͤngniß vernahm — aber es
war jetzt Abends menſchliche Guͤte, daß Flamins
großer Entſchluß zu ſterben, wie eine ruſſiſche Froſt¬
ſalbe ſeinem ſtarren Herzen Waͤrme und Bewegung
wiedergab. Sein Inneres regte ſich gewaltſam, quoll
auf, uͤberſtroͤmte den erdruͤckten Groll und das Bild
des Jugendfreundes ſtand auf und ſagte: »Viktor,
»gieb dem Schuldfreund wieder deine Hand — o er
»hat ſo viel gelitten, und ſo edel gehandelt.« Thraͤ¬
nen ſchoſſen ihm aus den zuckenden Augen, als er
ſich jetzt entſchloß, auf die Warte zu gehen und
zum alten Liebling zu ſagen: »es ſei vergeſſen —
»komm' wir wollen mit einander zu deiner Schweſter
»gehen.« Er gieng allein auf die Warte, um ihn
nachher der Lady vorzuſtellen. Die Pfarrerin ſprang
einige Minuten von Viktor ab, um ſeine zwei
Schweſter zu benachrichtigen und zu bringen und den
blinden Julius aus der Stadt fuͤhren zu laſſen, da¬
mit in der goldnen Halskette der Liebe kein Gelenk
abgienge.

Welche Himmelsleiter, in der jede Minute eine
hoͤhere Sproſſe iſt, ſteht in dieſer Nacht auf der

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[400/0410] Schwaͤche geweſen, daß das erfrorne Glied der Freundſchaft, ſein Herz, ein wenig kaͤlter und un¬ empfindlicher gegen Flamin geworden war, da er deſ¬ ſen Rettung aus dem Gefaͤngniß vernahm — aber es war jetzt Abends menſchliche Guͤte, daß Flamins großer Entſchluß zu ſterben, wie eine ruſſiſche Froſt¬ ſalbe ſeinem ſtarren Herzen Waͤrme und Bewegung wiedergab. Sein Inneres regte ſich gewaltſam, quoll auf, uͤberſtroͤmte den erdruͤckten Groll und das Bild des Jugendfreundes ſtand auf und ſagte: »Viktor, »gieb dem Schuldfreund wieder deine Hand — o er »hat ſo viel gelitten, und ſo edel gehandelt.« Thraͤ¬ nen ſchoſſen ihm aus den zuckenden Augen, als er ſich jetzt entſchloß, auf die Warte zu gehen und zum alten Liebling zu ſagen: »es ſei vergeſſen — »komm' wir wollen mit einander zu deiner Schweſter »gehen.« Er gieng allein auf die Warte, um ihn nachher der Lady vorzuſtellen. Die Pfarrerin ſprang einige Minuten von Viktor ab, um ſeine zwei Schweſter zu benachrichtigen und zu bringen und den blinden Julius aus der Stadt fuͤhren zu laſſen, da¬ mit in der goldnen Halskette der Liebe kein Gelenk abgienge. Welche Himmelsleiter, in der jede Minute eine hoͤhere Sproſſe iſt, ſteht in dieſer Nacht auf der wan¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/410>, abgerufen am 25.11.2024.