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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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"du mich verschmähest: so gieb mir deinen Segen
"und laß mich entfliehen. ... O! ich wollte ohne¬
"hin nur deinetwegen leben bleiben." -- Sie schaue¬
te ihn, zurückgebogen, mit einem nassen Blick voll
unaussprechlicher Zärtlichkeit und Trauer an: ist's
denn wahr? "O Gott! wenn Sie mein Sohn wä¬
"ren -- Ach, gutes Kind! -- ich habe dich längst
"geliebt wie eine Mutter. -- Aber täusche mich
"nicht, mein Herz ist so wund!" -- Der Sohn
schwur. ... und hier sinke der Vorhang langsam
an der mütterlichen Umarmung herab und wenn er
Sohn und Mutter ganz bedeckt: so schaue ein gu¬
tes Kind in seine eigne Seele zurück und sage: hier
wohnet alles was du nicht beschreiben kannst!

Jetzt Abends schlich der Kaplan vom Felde heim
und durch den Garten hindurch und rief seinem
neuen Sohne entgegen: Ach! Herr Hofmedikus,
"ich schwinde lästerlich ein. Ich sehe ja offenbar
"aus wie ein ecce homo und Fabrikant. Es wird
"mir zugesetzt -- ich soll eine persona miserabilis.
"einen souffre douleurs, einen Patropassianer abge¬
"ben." -- Da Viktor ihm berichtet hatte: "es sei
"alles vorüber, der Regierungsrath sei los und un¬
"schuldig:" so blickte Eymann fest auf die Warte
und sagte: "wahrlich droben sitzt der Rath und gukt'
"rüber" und wollte hinauf zu ihm; aber Viktor hielt
ihn sanft und sagte zärtlich: "ich bin Ihr Sohn"

»du mich verſchmaͤheſt: ſo gieb mir deinen Segen
»und laß mich entfliehen. ... O! ich wollte ohne¬
»hin nur deinetwegen leben bleiben.« — Sie ſchaue¬
te ihn, zuruͤckgebogen, mit einem naſſen Blick voll
unausſprechlicher Zaͤrtlichkeit und Trauer an: iſt's
denn wahr? »O Gott! wenn Sie mein Sohn waͤ¬
»ren — Ach, gutes Kind! — ich habe dich laͤngſt
»geliebt wie eine Mutter. — Aber taͤuſche mich
»nicht, mein Herz iſt ſo wund!« — Der Sohn
ſchwur. ... und hier ſinke der Vorhang langſam
an der muͤtterlichen Umarmung herab und wenn er
Sohn und Mutter ganz bedeckt: ſo ſchaue ein gu¬
tes Kind in ſeine eigne Seele zuruͤck und ſage: hier
wohnet alles was du nicht beſchreiben kannſt!

Jetzt Abends ſchlich der Kaplan vom Felde heim
und durch den Garten hindurch und rief ſeinem
neuen Sohne entgegen: Ach! Herr Hofmedikus,
»ich ſchwinde laͤſterlich ein. Ich ſehe ja offenbar
»aus wie ein ecce homo und Fabrikant. Es wird
»mir zugeſetzt — ich ſoll eine persona miserabilis.
»einen souffre douleurs, einen Patropaſſianer abge¬
»ben.« — Da Viktor ihm berichtet hatte: »es ſei
»alles voruͤber, der Regierungsrath ſei los und un¬
»ſchuldig:« ſo blickte Eymann feſt auf die Warte
und ſagte: »wahrlich droben ſitzt der Rath und gukt'
»ruͤber« und wollte hinauf zu ihm; aber Viktor hielt
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[398/0408] »du mich verſchmaͤheſt: ſo gieb mir deinen Segen »und laß mich entfliehen. ... O! ich wollte ohne¬ »hin nur deinetwegen leben bleiben.« — Sie ſchaue¬ te ihn, zuruͤckgebogen, mit einem naſſen Blick voll unausſprechlicher Zaͤrtlichkeit und Trauer an: iſt's denn wahr? »O Gott! wenn Sie mein Sohn waͤ¬ »ren — Ach, gutes Kind! — ich habe dich laͤngſt »geliebt wie eine Mutter. — Aber taͤuſche mich »nicht, mein Herz iſt ſo wund!« — Der Sohn ſchwur. ... und hier ſinke der Vorhang langſam an der muͤtterlichen Umarmung herab und wenn er Sohn und Mutter ganz bedeckt: ſo ſchaue ein gu¬ tes Kind in ſeine eigne Seele zuruͤck und ſage: hier wohnet alles was du nicht beſchreiben kannſt! Jetzt Abends ſchlich der Kaplan vom Felde heim und durch den Garten hindurch und rief ſeinem neuen Sohne entgegen: Ach! Herr Hofmedikus, »ich ſchwinde laͤſterlich ein. Ich ſehe ja offenbar »aus wie ein ecce homo und Fabrikant. Es wird »mir zugeſetzt — ich ſoll eine persona miserabilis. »einen souffre douleurs, einen Patropaſſianer abge¬ »ben.« — Da Viktor ihm berichtet hatte: »es ſei »alles voruͤber, der Regierungsrath ſei los und un¬ »ſchuldig:« ſo blickte Eymann feſt auf die Warte und ſagte: »wahrlich droben ſitzt der Rath und gukt' »ruͤber« und wollte hinauf zu ihm; aber Viktor hielt ihn ſanft und ſagte zaͤrtlich: »ich bin Ihr Sohn«

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/408>, abgerufen am 18.05.2024.